Juunge, Juunge

Texte Türkei 1 | Göynük, Schwarzmeerregion, Anfang Juni 2010

„Du Deutschland ?“
Kaum überrascht blicken wir von unserem Tisch auf. Ein erwartungsvolles Gesicht mit breitem Grinsen strahlt in die Runde. Und spätestens jetzt ist klar : die nächste Lage Çay ist sicher !
Wir antworten mit einem einstimmigen „Evet, evet Almanya“ und sichtlich erfreut zieht sich der knapp 70-jährige einen Stuhl heran.
„Ohh , ich Dreißigfumpf Jahre Deutschland – Juunge, Juunge !“
„Ja wirklich ? – und wo ?“
„Jahh, immer Arbeit – viel Arbeit – Möhnsch, Möhnsch !“
Mit einem herzhaften Lacher kommt dann auch die eindeutige Trinkergeste mit den Worten „Çay, Çay ?“
In über 5 Wochen Türkei haben wir gelernt, dass man in solch einem Fall nur „Ja“ sagen kann und sich am besten entspannt zurücklehnt.
Ich versuche es erneut :
„Nein, ich meine welche Stadt ?“
„Elchstadt ? – Nein, nein – Dusseldorf, Dusseldorf !“
„Ah, Düsseldorf !“
„Riiichtig, Riiichtig !“
Langsam beginne ich mich zu fragen, wer diesem armen Mann die deutsche Sprache beigebracht hat, dass er immer alle Wörter doppelt.
„Deutschland gut, aber jetzt nix gut !“
Es ist nicht die erste Begegnung dieser Art die wir haben, und auch nicht das erste Mal, dass wir solche oder ähnliche Aussagen hören. Auffallend viele Türken, die in den 60er und 70er Jahren in Deutschland als Arbeitskräfte benötigt wurden, sind heute als Rentner wieder in ihre Heimat zurückgekehrt. Oft wurde vom Lohn der Akkordarbeit ein eigenes Haus im Ort finanziert und oft sind die Kinder in Deutschland geblieben. Dieser Umstand wird meist mit einer Mischung aus Stolz und Bedauern erzählt. Nun haben unsere getürkten Deutschrentner zwar ein hübsches Heim und für hiesige Verhältnisse auch eine ordentliche Pension, dennoch gewinnen wir den Eindruck, dass nach Jahrzehnten in der BRD, die Türkei für diese Heimkehrer nicht mehr die Wurzel ist.
Mittlerweile haben sich weitere 5 oder 8 Bewohner des Ortes zu uns gesellt und lauschen gespannt, was unser neuer Freund über uns Deutsche herausgefunden hat. Gönnerhaft bestellt er noch eine Lage Çay, damit auch jeder sehen kann, wer hier wen einlädt. Alle üblichen Fragen werden gewissenhaft und ausführlich beantwortet, so dass der Nachmittag allmählich in den Abend übergeht.
„Wir müssen noch einkaufen und einen Übernachtungsplatz suchen“ erklären wir unserem Çayspender.
„Yavaş, yavaş“.
Zunächst sollen wir doch sein Haus ganz in der Nähe besichtigen.
„Gross Haus, alle leer – gut schlafen“
Und seine Frau müssen wir kennen lernen, die im übrigen sowieso schon für uns mitgekocht hätte. Und jetzt wird es langsam klar – bei diesen Aussichten kann man ja nur sagen „Juunge, Juunge“.

Bericht von Udo Thiele


Mehr über Türkei 1