Manoj [Teil 3 - Deutsch]

Texte Indien 1 | Varkala, Kerala, Mitte Februar 2011

Manoj:
Dann habe ich eine Arbeit in einem Hotel, einer Art Pension bekommen. Es ist vor allem eine Pension für Japaner, die meisten Gäste kommen aus Japan. Und ich habe eine Arbeit dort bekommen. Aber trotzdem haben sie nicht so viel bezahlt.
Aber ich hatte immerhin einen Platz zum Bleiben.
Sie gaben mir tatsächlich einen Raum direkt unter dem Dach. Das Gebäude hatte fünf Stockwerke und mein Raum war oben im fünften Stock.
Der Raum war aus einem chinesischen Material gemacht. Ich glaube sie nennen es Asbest. Und dieses Material war dünn, etwa so … (zeigt es mit den Fingern) … Es ist wie aus Blech gemacht. Und im Sommer wenn es heiss ist, hatte ich normalerweise bis um neun Dienst.
Um diese Zeit konnte ich also schlafen gehen. Tatsächlich konnte ich aber gar nicht schlafen. Denn wenn es fünfundvierzig Grad und mehr als das waren, wurde es sehr heiss. Sehr, sehr heiss. Und der Wind ist genauso wie diese trockene Luft. So ist es fast unmöglich in dieser Luft zu überleben. Aber irgendwie habe ich es geschafft, weil ich es so gemacht habe: Ich stellte mich zehn Minuten unter die Dusche, dann ging ich wieder zurück zum Schlafen, dann wieder duschen und schlafen.
Aber das bedeutet vierundzwanzig Stunden nicht richtig schlafen. Irgendwie schlafen vielleicht weisst du, eine Art Schlaf, nicht wirklich schlafen. Und dann habe ich also wirklich die Auswirkungen zu spüren bekommen, wegen Schlafmangel und weißt du, kein Essen und so. So wurde ich dünner und dünner und dünner und … ja …
In dieser Stelle bekam ich, glaube ich, siebenhundert Rupien. So war ich wieder in der gleichen Lage wie schon mal. Wenn ich Geld übrig hatte, hab ich es nach Hause geschickt. Aber ich arbeitete weiter in dieser Stelle für, ich glaube ich arbeitete zwei Jahre dort, ja zwei Jahre ungefähr.
Und diese Zeit, das muss ich sagen, war eine harte, harte Zeit für mich … was dann passierte war, dass ich merkte wie ich Fieber bekam. Ich bekam so stark Fieber, dass ich ins Krankenhaus musste. Ich war alleine dort, niemand schaute nach mir. Das war wirklich eine schlimme Zeit muss ich sagen. Aber es war eine wichtige Erfahrung zu dieser Zeit, weil ich keinerlei Erwartungen hatte zu dieser Zeit. Ich erwartete, OK, niemand wird kommen, der Arzt wird kommen und ich werde den Arzt sehen, das ist alles.
Das war alles was es dort für mich gab. Ich hatte also wirklich nicht viel zu bedenken. Und darum meine ich, dass ich dort ganz glücklich war – muss ich sagen. Ich war es nicht wirklich in dem Sinn, aber ich war OK.
Ich war froh, ich meine damit, nicht zu viele Dinge zu erwarten.
Was immer auf mich zukam, ich war einfach zufrieden. Irgendwie wurde ich gesünder.

Dann kam ich zurück zu dieser Pension zum Arbeiten. Und dann traf ich meinen Chef von hier und seine Frau. Sie wohnten in meiner Pension in meinem Bereich. Und sie – weil wir, wie ich euch erzählt habe, kein Restaurant hatten – bestellten also Essen von ausserhalb. Also kaufte ich immer Essen ein.
Und einen Teil assen sie und den Rest stellten sie vor die Tür. Ich nahm es und ich ass. Das war’s, was ich da halt nicht lassen konnte. Und einmal sah mich die Frau meines jetzigen Chefs. Und dann, weil sie ebenfalls Ärztin ist, merkte sie, dass ich wirklich krank war. Sie sah es in meinem Gesicht, weil meine Augen tief eingesunken waren. Mein Magen und alles war ziemlich abgemagert, ich war tatsächlich krank.
Also kam sie zu mir und sprach lange mit mir darüber: ,Ich denke, du benötigst einen Arzt. Ich habe dich gesehen, du bist hungrig. Du isst dieses Essen. Ich habe dich schon zweimal die Reste unseres Essens nehmen sehen.’ Sie gab mir etwas Geld und gut also. Und dann sagte sie: ‚Ich meine du musst zu einem Arzt gehen’, und sie gab mir etwas Geld, um zum Arzt zu gehen. Schliesslich fragte sie noch: ‚Woher kommst du?’ Und ich erzählte meine ganze Geschichte und sie war sehr hilfsbereit zu mir. Und OK, dann boten sie mir an, mit ihnen nach Kerala zu kommen. Aber zu der Zeit sagte ich: ‚Oh, ich kenne dort niemanden ausser ihnen, und ich kenne Kerala nicht. Was ist Kerala? Was immer es ist, auf jeden Fall ist es schwierig.’
Zu der Zeit war ich wirklich nicht fit genug, um zu reisen oder über Kerala nachzudenken. Weil Kerala zu der Zeit für mich eine andere Welt bedeutete. Wegen der Keralesen, anderen Sprache und unterschiedlichen Kultur. Es wirkte wie eine völlig andere Welt. Ich meine vollständig andere Welt. Ich habe wirklich lange gebraucht, um Hindi zu lernen. Ich hätte wieder von vorne anfangen müssen. Als ich nach Kerala hinunter kam, stellte ich fest, Malayalam sprechen zu müssen, weil die Leute hier tatsächlich kein Hindi verstehen.
Aber ich sprach zu der Zeit irgendwie etwas Englisch. Und ich muss sagen, mein Englisch ist nicht so gut, weil ich es nicht in der Schule gelernt habe. Ich habe es von den Leuten gelernt und mit den Leuten gesprochen und sie gehört und es in meinem Kopf gespeichert und daher spreche ich es so. Deshalb gibt es eventuell Missverständnisse, viele Grammatikfehler zum Beispiel, aber ich denke es ist irgendwie OK (lacht).
Und zu der Zeit war es genauso. Ich habe etwas Hindi gesprochen und auch ein klein wenig Englisch. Und das muss ich sagen, das war nicht einfach. Es war eine fremde Sache für mich. Als ich nach Delhi kam und begann in diesem Hotel, dieser Pension, zu arbeiten, war das erste Wort, dass ich lernte: ‚Entschuldigung’. Ich erinnere mich, dass war die beste Lehrzeit für mich. Ich brauchte zwei, drei Wochen nur um ‚Entschuldigung’ auszusprechen. Weil ich die Aussprache nicht hin bekam, es ist so anders. OK, ich hab es etwas in der Schule gelernt, aber wir haben überhaupt nicht gesprochen. Irgendeiner von uns hat nur vorgelesen. Wir mussten nur ein bisschen aus dem Buch abschreiben, das war’s. Aber wir haben nie wirklich gesprochen.
Und unser Bildungssystem zu der Zeit, ich meine in meinem Bundesstaat, war sehr schlecht. Ich meine der Lehrer war tatsächlich nicht gut. Die Schule war nicht gut. Niemand hat sich wirklich auf den Unterricht konzentriert. Deshalb also habe ich nicht wirklich, haben wir nicht wirklich viel Englisch in der Schule gelernt, genau genommen nichts, muss ich sagen. Und so hat es mich tatsächlich zwei, drei Wochen gekostet, ‚Entschuldigung’ auszusprechen. Aber irgendwie habe ich’s hinbekommen.
So wie nach Delhi zu kommen hatte ich auch richtig Angst nach Kerala zu gehen, davor, eine andere Sprache, nämlich ‚Malayalam’, zu lernen. Das einzige, was ich vom Malayalam wusste, war das Wort Malayalam. Ich wusste, dass die Sprache Malayalam heisst, dass war alles was ich in Malayalam konnte. Was also tun?
Aber dann sagte ich: ‚OK, geben sie mir ihre Karte. Ich komme, wenn ich mich dazu imstande fühle. Im Moment kann ich nicht, weil …’. Ich habe ihnen nicht gesagt, warum ich nicht kommen wollte. Sie sagten: ‚Kein Problem, du kommst wann immer du kommen willst’.

OK, was passierte dann? Was dann kam war: Ein paar Monate nachdem sie gegangen waren, war da – neben dem Dachraum, in dem ich schlief – jemand aus England untergebracht, ein Engländer, aber mit indischem Anteil, indisch und englisch gemischt.
Aber er hatte ein schönes Zimmer. Im fünften Stock hatten wir sechs Räume. Fünf Räume sind Lagerräume, einer davon war mein Raum. Ich hatte ein kleines Bett und alles mögliche. Und das andere ist ein gutes Betongebäude mit Klimaanlage, deshalb schlief er dort. Ich weiss nicht warum, am nächsten Tag musste er gehen weil er das Ticket und Visa und alles bei sich hatte.
Aber ich muss sagen, er war drogensüchtig. Er rauchte viel. Und er erhängte sich, er tötete sich selbst. Das passierte direkt neben meinem Zimmer. Wenn Ausländer in Indien sterben ist es ein riesiges Thema. Sie untersuchen es auf Druck aus ihrem Land. Also, ich denke er brachte sich tagsüber um, weil ich ein Geräusch hörte als ob etwas herunterfällt. Aber ich konnte es nicht richtig erkennen. Weil, weißt du, es war wie mein Träumen. Weil ich wirklich nicht viel schlief. Ich versuchte manchmal richtig zu schlafen. Wenn etwas passierte, konnte es sein, dass ich träumte oder so. So empfand ich es. Aber es war der Moment als er den Stuhl umstiess. Aber ich realisierte es nicht. Ich war wirklich so müde, so absolut müde dass ich nur noch schlafen wollte.
Und als ich um acht Uhr abends meinen Dienst antrat … also in diesem Hotel musste man jeden Tag bezahlen … jeden Tag musst du deine Rechnung begleichen. Er war der Einzige, der seine Zimmerrechnung nicht bezahlt hatte.
Und mein Boss schickte mich, um zu sehen was mit ihm passiert ist.
Als ich nach ihm sehen ging konnte ich das Bett sehen. Es gab einen kleinen Schlitz unter der Tür, so konnte ich das Bett sehen. Und das Bett war leer, es war niemand in dem Bett. Es gab kein Bad in dem Zimmer. Wie kann das sein? Wie konnte er verschwinden? Es musste etwas Seltsames passiert sein. Ich war wirklich erschrocken.
Da war nichts in dem Bett. Ich konnte das Bett ganz sehen, niemand war drin. Dann versuchte ich durch das Fenster zu sehen. Das Fenster war geschlossen aber ich konnte trotzdem hineinsehen. Dann sah ich, er hing wirklich an seinem Betttuch. Er nahm eines seiner Betttücher und erhängte sich am Ventilator an der Decke. Es … (er macht die Geste des Aufhängens) … es war schrecklich. Ich war wirklich erschrocken. Ich hatte noch niemals einen echten Menschen hängen sehen und wie Blut floss. Es war wirklich, ja ein bisschen Blut floss, denke ich, ja. Es war wirklich schrecklich für mich, diesen Moment zu erleben. Dann wusste ich wirklich nicht was ich tun sollte. Ich war für zehn Minuten wie tot. Und irgendwie musste ich mich wieder beruhigen. Es dauerte zehn Minuten bis ich mich beruhigte. Ich blieb regungslos. Ich wollte, es wäre ein Traum, ich wollte das nicht sehen.
Es war wirklich ein mentaler Schock oder so was. Also irgendwie konnte ich mich beruhigen und ich erklärte dem Chef was passiert war. Er musste dann die Polizei anrufen.
Die Polizei behandelte mich übel: ‚Was hast Du getan? Warum hast Du nicht aufgepasst?’. Und sie schlugen mich sogar, schlugen mich und schlugen mich. Aber ich hatte großes Glück, dass er die Türe von innen zuschlossen hatte. Es gab keinen anderen Weg, um in dieses Zimmer zu kommen, weil es ein Dach gibt und das ist geschlossen. Da gab es kein richtiges Fenster, nur ein sehr kleines Fenster.
Ich hatte also Glück, dass er irgendwie die Tür verschlossen hatte als er sich umbrachte. Aber dann, dann musste ich, ich und ein paar meiner Freunde, wir mussten ihn herunter machen. Und das war so seltsam für mich, mein Gott, der tote Körper, den ich sah, ich war so schockiert und musste all diese Dinge tun.
Und dann nach allem was passiert war, dann als er diesen Raum verlassen hatte, holte mein Boss den Ventilator aus dem Haus. Dann beschloss er, dieses Zimmer niemandem mehr zu geben.
Und dann taten sie mich in das Zimmer. Das war schliesslich der schlimmste Platz für mich. Ich konnte nicht, ich sagte ‚Das ist zu viel für mich’. Dann schaute ich und dachte darüber nach, irgendwo anders hinzugehen. Weil in diesem Raum zu schlafen … wenn ich meine Augen öffnete oder meine Augen schloss sah ich seinen toten Körper. Und es war nicht möglich. Ein anderes Problem war dass ich jeden Tag zur Polizei musste und ein Papier unterschreiben, dass ich immer noch da bin. Ich durfte Delhi nicht verlassen bis das alles abgeschlossen war. Ich durfte nur in Delhi wohnen.
Wie ich die indische Regierung und die indische Polizei kenne, wird der Fall niemals während meines ganzen Lebens abgeschlossen werden. Das bedeutet, ich müsste mein ganzes Leben lang in Delhi bleiben. Das ist unmöglich. Jeden morgen um sieben Uhr musste ich zur Polizeistation gehen. Ich musste Schlange stehen, fünf, sechs, sieben, acht Stunden in der Schlange stehen, man wusste nie. Und dann ging ich zurück zu meiner Stelle und arbeitete. Das war zuviel. Und ich sagte:
‚Nein, das ist unmöglich. Ich muss irgendwie weg von hier. Ich verschwinde aus Delhi.’