Texte Indien 1 | Varkala, Kerala, Mitte Februar 2011
Manoj:
Aber das Schlimmste war, als ich nach Delhi kam war es Dezember. Und es war sehr kalt. Ich denke es war etwa fünf Grad oder sieben Grad. Und ich hatte keine Kleidung. Ich hatte nur ein T-Shirt und ich habe wirklich gefroren. In meinem Leben war ich zum ersten Mal an einem Ort an dem es so kalt war. In meinem Heimatstaat haben wir es nicht so kalt. Das Minimum ist manchmal siebzehn oder fünfzehn Grad. Hier waren es fünf Grad. Ich wusste nicht was ich tun sollte und wohin ich gehen sollte. Und der Bekannte kam zu mir und machte mich mit einem anderen bekannt. ,OK, du musst mit ihm zum arbeiten gehen’ und ich sagte ,OK’. Dann verliess er mich einfach und ging.
Ich wusste überhaupt nicht was jetzt zu tun war und der Andere begann mit mir auf Hindi zu sprechen, was ich ein bisschen verstand, aber nicht sprechen konnte. So war es schwierig mit ihm zu sprechen.
Er sagte zu mir ,Ich kann dir keinen Job geben, weil ich jemanden brauche der Hindi spricht’.
Dann sagte er ,OK, du musst von verschwinden, ich habe keine Arbeit für dich’. Jetzt war ich wirklich im Nirgendwo. Kein Geld um heimzukommen, keine Freunde, niemanden, keine Sprache. Und der Mann verschwand auch. Er war sehr betrunken. So betrunken wie einer, der nur Sex und Alkohol im Kopf hat. Das habe ich am Ende herausgefunden, weil er mich stehengelassen hat und einfach ging.
Ich wusste nicht was tun. Er gab mir eine Telefonnummer. Ich wusste nicht wie ich zu wählen hatte, weil ich noch nie zuvor ein Telefon benutzt hatte. Ich hatte tatsächlich noch nie ein Telefon gesehen. In meinem Dorf hatten wir kein Telefon, niemand. Deshalb wusste ich nicht wie man wählt und was man damit macht und wie man spricht. Ich wusste nicht was tun.
Letztendlich gab es ein paar Freunde, von denen ich wusste, dass sie in Delhi lebten. Und irgendwie fand ich einen von ihnen und bat ihn um Hilfe. Und er gab mir etwas Geld. Aber ich bat ,Ich brauche einen Job und einen Platz zum Bleiben.’ Aber er konnte mir nicht wirklich helfen, weil das, was sie bewohnten, nur ein kleines Haus war. In einem kleinen Raum wohnten zwölf Leute. So ein Raum ist für drei Leute, höchstens vier Leute können in so einem Raum leben. Elf oder zwölf Menschen sind zu viel. Selbst ohne mich, da sie ihn Tag und Nacht benutzten. Die Nachtleute waren nur nachts da, sieben in der Nacht und fünf am Tag. Auf diese Weise wohnten sie. Und wenn sie frei hatten oder was ähnliches alle zusammen, dann war es schwierig dort zu schlafen. Keine Möglichkeit. Also sagte ich ihm, dass ich mich entschlossen hatte, nicht bei ihnen zu schlafen, weil sie mich nicht wirklich dahaben wollten. Und weil ich sie nicht wirklich kannte. Ich hatte sie ein paar Mal in meinem Dorf gesehen. Keine Freunde und ich wusste wirklich nicht viel über sie.
Aber ich hatte keine Arbeit. Ich brauchte jetzt Geld für mein Zuhause, weil ich unbedingt welches heim schicken musste. Weil wir unser Haus wieder aufbauen mussten. Also, was können wir tun?
Es gibt einen Platz in Neu Delhi wo du schlafen kannst – den Bahnhof.
Auf der Vorderseite des Bahnhofs ist immer Betrieb, die Rückseite ist nicht so belebt. Da gibt es einen Platz wo du schlafen kannst. Und als ich hinging zum Schlafen war es unmöglich, weil es voll war von Slumleuten.
Und sie sind wirklich … ich meine … ich muss sagen … ich kann sie nicht dafür tadeln wie sie leben … das ist die Art wie sie ihr Leben leben, wie sie frei in einem sehr freien Raum aufwachsen. Sie leben alle zusammen und misshandeln einander, sexuell … und fürchterlich … und die Männer, sie kümmert wirklich nichts, wie etwa ,er ist mein Freund’ oder irgendwas. Sie tun einfach was sie wollen, nichts hindert sie.
Und am Anfang haben sie auch mit mir versucht, alles Mögliche anzustellen. Aber ich war so nervös und so ängstlich. Ich wusste nicht was ich tun sollte. Aber sie haben einen Anführer wie einen Mafiaboss oder so. Und dieser Mafiaboss entschied, wo diese Leute hinzugehen hatten, um nachts zu stehlen. Sie schliefen nachts tatsächlich nicht. Sie gingen immer zum Stehlen. Dieser Mann entschied also: OK, diese Gruppe hat in diesen Bezirk zu gehen, jene Gruppe in jenen Bezirk. Dieser Mann war in jeder Form süchtig. Aber er war ein guter Mensch, weil alle menschlichen Wesen gut sind. Unsere Erfahrungen auf einem schweren Weg bestimmen unser Denken. Aber er hatte ein gutes Herz. Ich erzählte ihm meine Geschichte, und er und die Leute wussten, dass es einen Zyklon in Orissa gegeben hatte, weil es überall in den Schlagzeilen war, viele Menschen waren gestorben. OK, aus diesem Grund also half er, mir die anderen Leute vom Leib zu halten.
Aber ich hatte immer noch keine Arbeit und deshalb auch absolut kein Geld zum Leben. Was tun? Ich brauchte Essen zum Überleben. Anders kann ich nicht überleben. Also irgendwie, was tun? Was tun sie, die Slumleute?
Ich meine, normalerweise geben ihnen die Menschen in Nordindien nichts zu essen. Die Leute im Restaurant haben vielleicht Essen, normalerweise geben sie es dir nicht. Aber sie füttern Kühe.
Wenn du nach Delhi oder irgendwohin in Nordindien gehst kannst du viele Strassenkühe sehen. Sie sind sehr kräftig. Sie laufen immer frei herum. Und die Leute fühlen, dass dies heilige Kühe sind und es immer gut ist, sie zu füttern. Wenn du sie also bittest ,Gib uns was zu essen’ schreien sie dich meistens an ,He – verschwinde von meinem Haus’. Manchmal geben Leute, manchmal nicht.
Ja ich muss sagen, manchmal wenn ich einige meiner besten Freunde gebeten habe, gaben sie mir zu essen, aber nicht immer.
Manchmal sagten sie ,Nichts mehr da, kein Essen, geh weg von hier.’ Aber wir wussten, dass sie den Kühen in der Nacht immer Futter gaben.
Wir alle, ich und ein paar meiner Freunde vom Slum, gingen zum Essen sammeln aus diesen Abfalleimern, die speziell für Kühe sind.
Dort gab es übriges Essen von Leuten oder sie warfen es weg und etwas altes Chapati und solche Sachen.
So habe ich zwei Monate lang gelebt. Und das Gute an den zwei Monaten war, das ich von diesen Leuten Hindi gelernt habe. Weil sie normalerweise nicht schlafen während der Nacht. Und ich musste lernen und weitermachen. Ich musste letztendlich irgendwie Geld verdienen. Wenn ich hier bliebe, müsste ich mein ganzes Leben so leben. Ich könnte kein Geld verdienen, deshalb beschloss ich auch nicht zu schlafen. Irgendwie blieb ich wach, mit kaltem Wasser oder sonst wie. Ich tat so viele Dinge um in der Nacht wach zu bleiben, weil es die einzige Zeit war in der ich Hindi lernen konnte, weil die Leute nur in der Nacht zusammenkamen, um zu besprechen was gemacht werden soll und wo sie hingehen. Und was war tagsüber zu tun? Was sie getan haben, sie haben geschlafen, weil sie nachts nicht schliefen. So konnte ich also wirklich nicht mit anderen Leuten reden. Und ich konnte auch nicht rausgehen, um mit Leuten zu reden, weil ich nur zwei Kleidungsstücke hatte und die waren wirklich dreckig und so. Die Leute sind nicht sehr freundlich zu den Menschen vom Slum. Natürlich muss ich sagen, weil sie immer stehlen, sie mussten eben auch leben.
Das mochten die Leute nicht, aber die Leute verstehen auch wirklich nicht warum sie stehlen, sie haben andere Arbeit. Wer kümmert sich schon um die Slumleute.
Als Menschen schauen sie nur nach sich, niemand schaut nach den anderen. Wenn wir nach anderen schauen, schauen wir nur wenn Leute etwas falsch machen. Wenn sie etwas richtig machen sind wir immer eifersüchtig auf die anderen.
Das Gute, dass wir brauchen, kommt nicht von uns. Vielleicht von manchen Leuten auf der Welt, vielleicht … normalerweise nicht. Die meisten Leute hassen Slumbewohner, weil sie meinen, sie seien Räuber oder Diebe oder so was. Weil sie diese Dinge tun, aber warum, darüber müssen wir nachdenken. Niemand denkt daran. Trotzdem. Irgendwie ist das der Grund warum ich nicht mit normalen Leuten reden konnte.
Weil ich auf der anderen Seite war. Ich war nicht wie ein Slumbewohner, aber irgendwas ähnliches. Ich habe nicht daran gedacht, Dinge zu stehlen, sicher nicht. Aber meine Kleidung, meine Haare wirkten so. Und ich war sehr dunkel in dieser Zeit. Weil ich jung war und aus einem heissen Land kam. Kein Essen, kein Schlaf und ich war sehr dunkel. Ja, ich kann mir vorstellen, ich sah etwas seltsam aus in dieser Zeit. Wie auch immer.
Aber in diesen zwei Monaten begann ich wirklich zu verstehen. Ich konzentrierte mich darauf, was sie die ganze Nacht sprachen, auf alles, auf einzelne Wörter, ich nahm alles auf, ich nahm dieses Lernen wirklich immer sehr ernst. Und schliesslich, nach zwei Monaten begann ich recht gut zu sprechen und zu verstehen.
Dann dachte ich ,OK jetzt ist der Zeitpunkt, um nach einer Arbeit zu suchen, nach einem Job’. Dann kam ich zu meinen, nicht meinen Freunden, diesen Leuten aus Orissa. Und sie waren tatsächlich schockiert mich so wieder zu sehen. Deshalb sagten sie zu mir ,Warum bist du nicht zu uns gekommen? Wir wollten nicht, dass du so lebst, dort. Aber ich sagte ‚Oh, es ist gut’. Und auf diese Weise habe ich Hindi gelernt. Und wenn ich bei ihnen geblieben wäre, hätte ich kein Hindi gelernt weil sie die ganze Zeit Oriya sprechen. So könnte ich in meinem ganzen Leben keine Arbeit finden. So ist es doch überall.
So nahm ich mir neue Kleidung von ihnen und fand schliesslich eine Arbeit als Tellerwäscher in einem Restaurant. Aber es war ein kleines, einheimisches Restaurant, und ich sage Euch, mein Boss war nicht so freundlich, er schrie dauernd und schlug mich ständig. Meine Arbeit war so: Ich musste in einem kleinen, dunklen Haus mit einer kleinen Kerze Teller reinigen. Ich fing um 7:30 Uhr an und arbeitete bis 23:00 Uhr nachts. Ich hatte nur eine Stunde, um so was zu erledigen, wie Essen gehen, aber die andere Zeit musste ich immer waschen. Sie haben so viele Teller aufgehäuft.
Und ich denke, schon nach zweieinhalb Monaten begann ich meine Fingernägel zu verlieren.
Schau meine Fingernägel sind nicht gleich lang bzw. sind unterschiedlich. Schau, vom Daumen bis zum kleinen Finger sind alle Nägel neu gekommen. Weil alle ausgefallen sind wegen der Allergie auf die Seifenchemikalien. Weil sie wirklich starke Chemikalien benutzen.
Also konnte ich nicht mehr richtig arbeiten, weil es dann wirklich brannte. Es war tatsächlich so, dass ich nichts mehr fühlen konnte. Es war ständig wie taub, weil ich nichts mehr fühlen konnte. Aber es war keine grosse Sache, weil ich weiter gemacht hab. Ich hab damit weiter gearbeitet. Aber dann, was passierte? Auf einmal hatte ich wirklich Schwierigkeiten mit meinen Fingern weil ich sie nicht mehr fühlen konnte.
Also musste ich ins Krankenhaus gehen. Und der Doktor sagte zu mir ‚Wenn du damit weiter machst, werde ich gezwungen sein, deine Finger abzunehmen oder so was’. Und er sagte mir ‚Ich werde dir Medikamente geben’. Und ‚Hör mit dieser Arbeit auf’. Und ‚Es wäre besser für dich’.
Und ich sagte ‚OK, was tun?’
Dann musste ich mit dieser Arbeit aufzuhören. Und weil ich mitten im Monat aufgehört habe – ich habe, ich glaube eineinhalb Monate oder zweieinhalb Monate gearbeitet, ich erinnere mich nicht genau – deshalb bezahlten sie mich nur für einen Monat. Weil sie sagten ‚Oh, wenn du einfach mitten im Monat gehst, geben wir dir kein Geld.’ Aber ich konnte nichts machen. Aber ich hatte dann einen Monatslohn und zu dieser Zeit bekam ich 450 Rupien. Und, es war aber gut, dass ich dort immer mein Essen bekam. So schickte ich etwas Geld nach Hause und für etwas kaufte ich mir Kleider, um zu versuchen eine andere Arbeit zu finden. Aber für einige Monate konnte ich nicht arbeiten.
Aber, ja, das gleiche Problem das ich schon mal hatte. Weil ich meine Bekannten nicht stören wollte, ging ich wieder in den Slum. Aber dieses mal war ich schon befreundet mit ihnen und sie kannten mich schon und ich hatte keine grossen Probleme mehr. Ich konnte ihre Sprache schon und ich brauchte nur einen Platz um hin und wieder auszuruhen, das war alles. Und ich hatte etwas Geld. Ich konnte ein klein wenig essen. Zum Beispiel kaufte ich jeden Tag zwei Chapaties, oder drei Chapaties. Es war genug für mich, und etwas kaltes Wasser. Wenn ich mich wirklich so hungrig fühlte, wie ich mich gefühlt habe wenn ich etwas zu essen brauchte, trank ich kaltes Wasser, das war gut. Jedenfalls hatte ich etwas Geld.
Dann suchte ich nach einer anderen Arbeit und ich bekam eine Arbeit in einer Art kleinem Glashaus. Sie verkauften kleine Gläser in diesem Haus und gaben mir die Aufgabe, sie zu reinigen. Und es war inzwischen eine andere Jahreszeit. Nach fünf Monaten war es Sommer, etwa Mai, April oder so. Als ich die neue Arbeit bekam, war es April, ja, Ende April. Also war es gerade Anfang Sommer. Das heisst fünfundvierzig Grad oder so ähnlich. So war das Reinigen, mit oder ohne Kleidung in dem Haus, wirklich schrecklich, es waren wirklich harte Bedingungen.
Was also tun? Ich habe da zwei oder drei Monate gearbeitet, aber es war zuviel für mich. Ich hab wirklich meine Gesundheit auf’s Spiel gesetzt. Kein Essen, weil ich nicht genug Geld bekam, weil ich dort siebenhundert oder siebenhundertfünfzig Rupien bekam. Wenn ich drei mal am Tag in einem Restaurant essen muss, habe ich neunhundert Rupien zu geben. Wenn ich also nur fünfhundert Rupien bekomme, habe ich von diesem Geld zu essen und ich habe auch welches heim zu schicken.
Was also tun? Ich habe dreihundert Rupien heim geschickt, zweihundert Rupien für mein Essen behalten. So war es ziemlich unmöglich zu essen. Was konnte ich also essen? Ich konnte es tatsächlich nur einmal am Tag. So hab ich wirklich nur mittags oder morgens oder abends gegessen. Den Rest hab ich anders gemacht, hab Essen aus Abfallbehältern gesammelt, von Restaurants oder Leute gefragt oder so. Dann hab ich da für zwei Monate gearbeitet, meine ich.
Ende Juni hab ich die Arbeit aufgegeben, weil es zu viel war für mich.