Was so geredet wird

Texte Nepal 1 | Nagarkot, August 2011

“Das Beste ist immer noch, sie zu köpfen” …
Schwere Monsunwolken wälzen sich bei Nagarkot über den Kamm und sinken ins Tal wie wirre Gedanken. An manchen Tagen regnet es nicht. Dann stellen wir unsere blauen Campingstühle und den praktischen Alu-Klapptisch vor dem Auto auf. Wir geniessen die Ruhe abseits der Strasse, das Alleinsein, unseren „Hochland Himalaya Arabica Kaffee“, 100% Organic, handverlesen … die Gespräche … gute Erinnerungen … die Gedanken … tiefgründig … über die Beschaffenheit gekochter Eier …
„Hallo!“, ruft der junge Nepalese, als er um die Ecke biegt und uns beim Frühstück entdeckt.
„Hallo – Namaste“, erwidern wir und puhlen die Schalen von den Frühstückseiern.
„Oh, Ihr esst“, stellt er fest … und es stört ihn nicht … dass sein Name Ramisch sei, sagt er, und erkundigt sich nach unseren Namen.
Der Morgen ist unentschieden … es kann gut gehen … letztlich entscheidet der Augenblick … sind die Eier wider Erwarten fast perfekt? … Verschieden fast perfekt? Das ist wichtig, kann man doch ganz unterschiedliche Vorstellungen vom richtigen Moment haben.
Wir nennen dennoch bereitwillig unsere Namen … weil sie schön sind … diese Momente der Annäherung von Reisenden und Einheimischen, unterschiedlichen Mentalitäten und Kulturen, und deshalb reisen wir ja … schliesslich … liegen die Eier geköpft und geschält bereit … um uns eine eigene Meinung zu bilden.

Also entwickelt sich zwischen uns folgendes Gespräch:
„Woher seid Ihr?“, fragt er.
„Aus Deutschland“, antworten wir.
„Deutschland?“
„Ja, …“
„Mit dem Auto?“
„Ja, …“
„Aus Deutschland?“
„Ja, …“
„Schönes Land.“
„Ja, gefällt uns …“
„So ordentlich und stabil.“
„Ähm, ja, Licht und Schatten gibt´s überall.“
„Nicht bei uns“, sagt Ramisch.
„Nicht?“
„Nein. Was haben wir erreicht?“, fragt er.
„Ja was … ?“, fragen wir ihn … bevor er kalt wird … nehmen wir einen Schluck vom Kaffee, Nepals Nr. 1.
„Wo stehen wir heute?“, fragt er.
„Nepal ist …“, suchen wir der Sache eine freundliche Wendung zu geben.
„Null und Nichts“, beharrt Ramisch.
Wir überlegen, er redet weiter:
„Das Sagen haben die Alten, die ewig Gestrigen, die immer nur ihren eigenen Vorteil suchen.“
„Kann sein …“. Wir zögern. Nicht, dass wir den Faden verloren oder eine andere Meinung hätten … solange man vom Innern nichts weiss bleibt halt nur Staunen.
„Wer mit Kohlen handelt wird schmutzig“, sagt Ramisch und lässt sein Handy zwischen den Fingern kreisen.
Für einen Moment schweigen wir alle.
Allerdings, Politik hat – in Nepal mehr als sonstwo auf unserer bisherigen Reise – den Ruf eines schmutzigen Spiels, und Politiker den der selbstsüchtigen Spieler. Sooft wir jemanden fragen, sind die Schuldigen immer die Gleichen: Misswirtschaft und Korruption ruinieren das schöne Land. Viele wünschen schon die Monarchie zurück, kaum dass die Demokratie begonnen hat, Fuss zu fassen … es war ja auch nicht alles schlecht … Vergangenheit verklärt.

„Und die Jungen, was machen die?“, fragen wir.
„Machen Geld in Dubai“, antwortet er.
„Warum nicht Politik in Nepal?“, wollen wir wissen.
„Wer arbeiten kann geht nach Dubai, wer reden kann wird Politiker“, … unglaublich was heutzutage alles geht … Ramisch scheinen die Möglichkeiten zu faszinieren … er beginnt, sich mit den Funktionen seines Handy´s zu beschäftigen …
„Gut, ja …“, erinnern wir uns an ein paar Begegnungen. Nepalesische Lohnarbeiter gehen seit Langem ins benachbarte Indien und seit Ende der neunziger Jahre auch in die zahlungskräftigeren Golfstaaten. Durch ihre Arbeit im Ausland, erzählen sie, schaffen sie es, ihren Familien zu Hause zu helfen. Schulgeld für die Kinder zum Beispiel. Das ermöglicht den Besuch von Privatschulen, die die weit bessere Ausbildung bieten, sagen sie.
„Trotzdem, die Situation in Nepal …“
Aber Ramisch hört nicht mehr zu, er wendet sich bereits zum Gehen, schlendert einfach davon, grusslos, wie jemand dessen Fragen beantwortet sind.
Also hören wir auf darüber zu sprechen.

Das war´s.

Macht nichts … jetzt noch was anderes:
Warum eigentlich? … Warum soll Köpfen besser sein als Titschen?