Texte Nepal 1 | Kathmandu, August 2011
Nicole:
Was sind denn im Moment so deine schriftstellerischen Schwerpunkte?
Gaurav:
Schwerpunkte in meinem Schreiben? Schwerpunkte, das heisst so die Hauptpunkte, oder?
Roland:
Ja, was dich am ehesten beeinflusst, was dich reizt, was dich beschäftigt.
Gaurav:
Also das aktuellste Stück, dass ich geschrieben habe und mit dem ich am meisten zufrieden bin. Ich denke ich habe jahrelang versucht, dieses Stück zu schreiben. Es ist eine Sammlung von Kurzgeschichten. Und diese Sammlung von Kurzgeschichten heisst ‚Tränen für Rahul Dutta’. Es ist eine Sammlung von zehn kurzen Stücken. Es ist nicht sehr lang, es hat vielleicht 11.000 Wörter insgesamt. OK, aber in diesem letzten Stück denke ich, dass ich es geschafft habe, es zu einem Ende zu bringen, nach jahrelangem Versuch herauszufinden was fehlte.
Weil es von einer Persönlichkeit handelt.
Noch einmal, die gesamte Idee vom Sein.
Das ist sehr fundamental.
OK, aber ja, das ist mein Schwerpunkt. Weisst du, letztendlich ist dies eine Person, die etwas vernachlässigt ist. Alleine. Es kann nicht in Worte gefasst werden. Du musst die Geschichte lesen. Aber ich denke das ist ein bisschen wie … weisst du, dass ist der Teil in dem er verschwindet. Er verschwindet und sie machen eine Trauerfeier für ihn. Und dann taucht er irgendwo auf, in einer parallelen Welt irgendwo anders.
Und das letzte Stück hat eigentlich viel mit Sohn und Vater zu tun – es hat viel mit Familie zu tun. Aber ich benutze nicht die traditionellen Merkmale, um über Familie zu reden. Es gibt eine Menge Folgematerial. Und drei, vier von diesen Stücken, werden veröffentlicht, von zehn, in diesen drei Magazinen.
Aber der Schwerpunkt, denke ich, ist der Versuch, zu erfassen, was es bedeutet Sohn zu sein.
Es gibt nur drei Hauptdarsteller. Nur einen Sohn, eine Mutter und einen Vater. Und was ihre Beziehung zu ihrem Sohn ist, und noch wichtiger, was die Beziehung zwischen jedem von ihnen ist. Und ich habe nicht versucht sehr knapp zu sein. Ich meine, für mich ist schreiben … wenn etwas in einer einzigen Szene dargestellt wird, wenn du es erfasst hast, das ist genug. Du musst es nicht wiederholen, immer und immer wieder, es immer und immer wieder sagen.
In der ersten Geschichte gibt es eine Szene, in der der Protagonist die Treppe herunterkommt. Ich verwende einen Esstisch als Ort an dem sich die Familie trifft. Und das ist eine traditionelle Verwendung, weil ansonsten die Familie überall im Haus sein kann. Aber an einem Esstisch kommen sie zusammen. Er kommt also, er hat gerade seine Arbeit verloren, aber er hat es seiner Familie nicht erzählt. Und er kommt und hat einen Anzug an. Und es gibt keinen wirklichen Grund dafür, er hat einfach einen Anzug an.
Er kommt herunter …
Ist es in Ordnung wenn wir so ausgiebig darüber reden?
Nicole:
… ja ja …
Gaurav:
… OK … und er kommt herunter.
Seine Mutter ist sehr glücklich ihn zu sehen. Vater ist etwas still. Und dann fragt der Vater, ihr wisst schon, in dieser Art:
‚Warum?’
‚Warum was?’
‚Warum die Kleidung?’
‚Aus keinem bestimmten Grund, Papa.’
‚Es muss einen Grund geben!’
Rahul sass und starrte an die Wand. Er konnte nicht … ich kann mich nicht an die genauen Worte erinnern … er konnte nicht verstehen warum sein Vater so neugierig war, und warum es einen Grund geben musste.
Schliesslich sagte er:
‚Weil es ein neuer Tag ist, Vater.’
OK, sein Vater lächelte ihn an. Rahul verstand nicht warum er lächelte.
Er ass weiter, nahm einen Schluck von seinem Kaffee und ging.
Vater lächelte weiter.
So ist es etwas absurd und ein wenig grotesk.
Ich gebe es euch, ihr könnt es lesen.
Dieses Eine ist schon online, ihr könnt es online lesen.
Und als er geht ist er wie ‘Ergreife den Tag mein Sohn’, noch immer lächelnd.
In dieser Situation hat die Mutter sich nicht beteiligt und er hat angenommen, dass sein Junge verliebt ist.
Er sagt seiner Frau:
‚Er ist verliebt.’
Und seine Frau sagt:
‚Ich habe nichts derartiges wahrgenommen. Worüber sprichst du?’
Irgendetwas in dieser Art. Und dann redet er weiter und merkt schliesslich, dass seine Frau den Raum ebenfalls verlassen hat. So hat er nur zu sich selbst gesprochen. Also besinnt er sich, nippt an seinem Kaffee, sagt:
‚Oh gut’, mit einem leeren Blick auf dem Gesicht.
Das ist also eine der Hauptszenen, als der Vater erscheint. Dann erscheint er ganz am Ende. Es gibt eine Szene in der er wieder am Esstisch ist. Und da ist ein leerer Stuhl. Der Riss im Stuhl zeigt, dass der dicke Mann der einmal da gesessen hat, verschwunden ist. Es gibt eine Menge Anwesenheit und Abwesenheit. Die Sache betrifft Vater und Sohn. Ich denke, tatsächlich handelt es sehr viel über Vater und Sohn. Und natürlich, es gibt eine Szene, in der sich die Mutter selbst tötet. Die Sache ist nicht linear. Es ist nicht als würde ich etwa versuchen zu sagen ‚Dies passiert und das passiert’. Nichts passiert wirklich.
Aber eine Menge anderes … also schau, ich meine, du musst es wirklich gelesen haben. Ich denke, es gibt keinen anderen Weg darüber zu sprechen.
Aber der letzte Schritt war, als ich tatsächlich in der Lage war zu erfassen was ich erfassen wollte. Und ich kann dieses besondere letzte Stück noch auswendig. Es ist der letzte Teil, etwa hundert Wörter.
Das letzte Stück ist, als sich Vater und Sohn auf derselben Ebene zeigen. Sie sind wie Freunde. Wie gegenseitige Doppelgänger – Vater und Sohn. Und ich habe sie in einer grotesken Art gezeigt wie sie … weisst du … sie starren einander an. Die Mutter ist separat.
Es ist nicht wirklich eine reale Beziehung zwischen Vater und Sohn. Ich erwähne nicht wirklich die Wörter Vater und Sohn. Es sind nur Bezeichnungen die andeuten, dass es dieselbe Person ist. Ich möchte keine realen Hinweise benutzen in dem Sinn … ja, ich könnte über Dinge sprechen, die mir wirklich passieren. Aber ich weiss, für mich ist es wichtig, es irgendwie darauf zu beschneiden. Für dieses spezielle Stück … kann ich sagen dass ich versuchen kann mich zu erinnern, aber ich tu es nicht – ich muss es beschneiden.
Aber es gibt eine letzte Passage als am Ende sein Vater auch gegangen ist und er nun absolut allein ist. Und es geht so … ich versuche mich zu erinnern … die Hauptperson heisst Rahul, ‚Tränen für Rahul Dutta’ heisst es:
‚Rahul wollte auf etwas schauen. Auf was, fragte sich Rahul. Rahul konnte nichts finden worauf er schauen konnte, ausser auf sich selbst. Er konnte nicht aufhören, dies zu tun. Der einzige Ausweg war nicht darüber nachzudenken.
Rahul verbrachte den ganzen Nachmittag damit, daran zu denken, nicht darüber nachzudenken, während er seine ganze Person betrachtete.
Er bat seine Freundin zu schauen, aber sie war nicht da, um zu schauen. So schnitt er sich selbst vollständig ab und trocknete das Blut, das er einmal selbst gewesen war.
Niemand der in dem Raum, in dem Rahul sich selbst abschnitt, sass, war vielleicht in der Lage auch nur daran zu denken zu fragen, nicht einmal sich selbst, ob da jemand in dem Raum war.
Rahul scheiterte daran zu verstehen wie etwas schlecht für einen sein kann. Wie kann etwas schlecht oder gut sein wenn man, man selbst, nichts ist?
Rahul dachte an einem bestimmten Punkt jedoch, dass er nicht Nichts war.
Er dachte einmal, dass Dinge nie zu einem glücklichen Ende kommen.
Er dachte an seine Mutter, die zu jung starb, zu der Rahul einfach hätte sagen können ‚Leb Wohl’, lebend.
Es gibt nichts was du tun kannst, Rahul.
Absolut nichts, und vielleicht auch niemanden mit dem du es teilen kannst.
Es gibt keinen Punkt auch nur zu versuchen, mit den Toten anzufangen zu reden. Sie werden dir keinen Frieden geben.
Rahul wünschte, er hätte nie die Nachricht von ihrem Tod erhalten.
Solange er nicht nach Hause zurückkehrte war sie immer noch da.
Rahul schaltete sein Handy ab und schaltete es nie mehr ein. Statt dessen blieb er weg.
In einem Cafe (weg), während er an seinem Kaffee nippte, begann sein Magen zu gurgeln, wegen des Kaffees. Er wusste dass es der Grund war. Er dachte weiter an seinen gurgelnden Magen und dachte dann darüber nach wie es sein würde hätte er den Kaffee nicht getrunken. Würde sein Magen immer noch gurgeln? Es war möglich, dass er es nicht würde. Er wusste nie wie sich Schmerz anfühlte bis er sich in einer schmerzhaften Situation befand.
Er fragte sich ob es möglich war, Schmerz zu empfinden in einer Situation, die keinen Grund dazu gab.
Ein Sturm fegte vorüber. Nichts, nirgendwo, änderte seine übliche Position.
Rahul sah sich um. Es schien als könnte er den Unterschied zwischen sich selbst und allem um ihn herum nicht benennen.
Es gab nichts an das man sich halten konnte.’
Da endet der Roman. Das letzte Stück. Ich meine … nochmal … die Idee des Seins … um die Schwerpunkte zu finden.
Roland:
Das ist auch das Thema ‚Sonderbar’ … ‚Sonderbare Geschichten’ Es gibt keine Ursache und Wirkung. Es ist nicht linear.
Gaurav:
Sonderbar, ja.
Es ist definitiv nicht linear.
Ihr solltet das Buch lesen. (lacht)