Texte Usbekistan | August 2010
Unsere Zentralasien-Landkarte wurde gewissenhaft nach den Regeln der kartographischen Handwerkskunst erstellt. Das kleine Quadrat mit dem malerischen Kamel darin erregt die Neugier des Asien-Reisenden. Es markiert einen, zu Zeiten von Tausendundeiner Nacht sehr bedeutenden Handelsweg, der in unwirtlichen, von der Sonne versengten Gegenden, eine Oase mit der nächsten verband. Eine Karawanenroute, die erst später den romantischen Namen „Seidenstrasse“ erhielt.
Der Tourismus entlang der Seidenstrasse floriert. Er überschwemmt Mausoleen, Medresen und Moscheen mit Reisenden auf der Suche nach Einblicken in das märchenhafte Leben entlang der Route aus alter Zeit. Bewegende Momente auf den Spuren von Kaufleuten und Abenteurern.
Wir sind begeistert.
Rasch unterschreiben wir ein paar unverständliche Formulare und quietschend öffnen sich die Gittertore Usbekistans:
„Welcome to our Country.“
Direkt befördert uns die Seidenstrasse, inzwischen zwar asphaltiert, aber durch abgelegene Regionen wie eh und je, nach Buchara. Man kann sich nun, wenn man will, den Ort so vorstellen:
Städtebaulich überholtes und in die Jahre gekommenes Provinzzentrum. Sowjetisch geprägt. Neonlicht. Vieles wirkt brüchig und veraltet.
Auf den, meist weitläufigen, Strassen erzwingen Kleinwagen koreanischer Herkunft, wie üblich hupend, die Vorfahrt und führen, sobald die Dunkelheit einsetzt, ihre atemberaubende Kotflügel-Innenbeleuchtung vor.
Geschäftige Menschen mit Handys am Ohr eilen zum nächsten Mediashop, wo man den noch größeren Flachbildschirm bekommt oder in eine der allgegenwärtigen Videotheken, um „Clash of the Titans“ oder „Prince of Persia“ für den unterhaltsamen Abend zu besorgen. Wer sich nicht kümmert, ist dem Staats-Fernsehen ausgeliefert. Dessen wenig spektakuläre Alternative, heisst es, sei die abendfüllende Propaganda zu den glänzenden Erträgen der Baumwollernte und den vorbildlichen Erlassen des Präsidenten.
Insofern, ausgenommen natürlich die Beiträge der öffentlichen Sender, ein ganz normal globalisiertes Stadtleben auf unserem Planeten. Man könnte meinen, die Kunst Teppiche zu weben und zu knüpfen werde verdrängt von der Kunst, Videos zu vervielfältigen.
Liebe Freunde – wir müssen uns keine Sorgen machen.
Es gibt zum Glück die Perle Zentralasiens. Das ist die großartige Altstadt von Buchara. Jetzt endlich haben auch wir sie gefunden. Genau hierher kommt der Tourist, der die jahrtausende alte Tradition der Seidenstrasse bewundern und erleben möchte.
Dem kulturhistorisch weniger Versierten, der Ayvon von Chortak nicht unterscheiden kann und den auch das ungemein wichtige Kosh-Prinzip kalt lässt, dem bleiben immerhin die Aaah´s und Oooh´s beim Bestaunen der vielfarbig in der Sonne blinkenden Ornamente, der Feinheit der fantasievoll geschnitzten konischen Holzsäulen, der mit dem Lichteinfall zu verschiedenen Tageszeiten wechselnden Stimmungen in Bazaren und Innenhöfen, der vielfältigen dekorativen Möglichkeiten des Backsteins, liegend, stehend, schräg, hervor- und zurücktretend, in allen Richtungen verbaut, der ockerfarbenen Wärme der Lehmziegel im eindrucksvollen Kontrast zu zahlreichen, türkis glänzenden Kuppeln vor immer blauem Himmel, und des Wahrzeichens der Stadt, des weithin sichtbaren Minaretts Kalon.
BEST PHOTO VIEW von der Dachterrasse des gegenüberliegenden Teehauses – einzigartig. Ringsherum lauter stolze Architektur, die durch Einmaligkeit, ungewöhnliches Schmuckwerk oder imposante Portalbauten auf sich aufmerksam macht.
„Plov“
Rund um das grosse Becken der ehemaligen Wasserversorgung Alt-Bucharas haben Strassenlokale, Teestuben und manche flinke Kleinverköstiger ihre qualmenden Grillpfannen, Holztische und Lehne an Lehne, Stühle und Bänke aufgestellt. Die Anlage ist – sagen wir es doch in den besten Worten, die die englische Sprache dafür zu bieten hat – ein beliebter „evening hang-out.“ Die Luft ist angenehmer, ein wenig kühler, in der Nähe der Wasservorhänge aus feinen Strahlen, die entlang der Ränder des Beckens aufsteigen und in grossen Bögen auf die Wasserfläche zurückfallen. Auf einer Seite führt eine breite Treppe vom angrenzenden, kleinen Park herunter. Ein Unbeirrbarer trägt, zum instrumentalen Playback, von der obersten Stufe aus, Schmachtfetzen in Moll in usbekisch interpretierter Paolo-Conte-Manier vor. Niemand scheint ihn zu bemerken, was offensichtlich den gewohnten Rahmen seines künstlerischen Tuns darstellt.
Auf der anderen Seite, schräg gegenüber, sind Leinwand und Beamer aufgebaut. MTV-Musikvideos pausenlos. Ein paar Kinder jagen ausgelassen unter der Leinwand herum.
Wir finden einen freien Tisch und freuen uns über die Zwanglosigkeit in dieser so geschichtserfüllten Umgebung.
Plov ist ein Reisgericht mit Hammelfleisch.
„Können wir Plov auch ohne Fleisch bekommen?“
„Kein Problem, das geht.“
„Ah, sie sprechen Deutsch?“
„Ja – Deutsch, English, Russki, Francais, Espanol, Uzbek – alles was gebraucht wird.“
„Wir hätten also gerne den Reis ohne Fleisch.“
„Ohne Hammelfleisch ist es ebenfalls Plov. Es gibt hundert Arten davon.“
„Und Lagman?“
„Lagman ist wie dicke Nudelsuppe mit Fleisch, Kartoffeln und Gemüse.“
„Können wir Lagman auch ohne Fleisch bekommen?“
„Kein Problem.“
Der Kellner kritzelt mit dem Bleistift auf seinen Block.
„Gibt es ein usbekisches Wort für Vegetarier?“
„Man sagt Gijah-char. Und zu trinken?“
Bei den Getränken kann Sparsamkeit zum Wodka verleiten. Das Wässerchen ist billiger als Fruchtsäfte oder Bier. Der Abend nimmt einen angenehm entspannten Verlauf. Wir spüren, wie die berauschende Wirkung des Orients sich nach und nach in uns ausbreitet.
Pure Magie.
Zur seelischen Vorbereitung des schmerzlichen Aufbruchs am Ende eines gemeinsam verbrachten Abends trinkt man erst den Pasatschok (Wanderstockbecher) um anschliessend, zum unumgänglichen, nicht länger verschiebbaren Abschied noch den Stremennaja (Steigbügelbecher) zu sich zu nehmen.
Gegen Mitternacht, Stühle und Bänke um uns herum sind mit ihren Lehnen schon gegen die Tischkanten gekippt, unsere Sprechwerkzeuge in ihren feinmotorischen Fähigkeiten etwas umnebelt, beleuchtet eine märchenhafte Mondsichel unseren „Heimweg“.
Uns gefällt Buchara immer besser.
Am nächsten Morgen scheint die Sonne.
Die Buchara-Teppiche sind berühmt. Nur interessehalber erkundigen wir uns nach dem ungefähren Preis. Aber wir sind an einen erfahrenen Händler geraten. So einfach gibt er der schamlosen Neugier, vor allem wenn er kein echtes Kaufinteresse spürt, den Wert seiner Ware nicht preis. Statt dessen nutzt er die Gelegenheit, uns darzulegen, dass der Teppichhandel nicht mehr ist, was er einmal war:
„Business is more difficult today.“
Wahre Qualität wird nicht mehr mit Kennerblick gewürdigt:
„Yes. People don´t look quality.“
Die mickrigen Gewinnspannen schrumpfen zu Hungerlöhnen:
„Yes, yes. People don´t pay quality.“
Dennoch, selbstlos arbeite – ach was, opfere er sich im Dienst der ehrwürdigen Teppichtradition. Wenn es sein müsse auch ohne Gewinn.
Ja, das ist doch schön.
Nach seinem aufschlussreichen Einblick in die Grundzüge des orientalischen Teppichhandels tippt er auf seinem Taschenrechner. Das Display präsentiert uns einen vierstelligen Betrag. Gute Ware hat eben ihren Preis.
Also weiter.
Seine Majestät der Emir hatte eines Tages eine spassige Idee. Vielleicht weil er unzufrieden war mit den üblichen und deshalb etwas verbrauchten Huldigungen und Demutsbekundungen seiner Untertanen. Für einen Emir wäre das verständlicherweise höchst unangenehm. Oder vielleicht weil er die Eleganz der prächtigen, feingeschnitzten Holzsäulen seines Palasts gerade satt hatte und etwas Ablenkung suchte. Oder aus sonst einem Grund. In irgendeinem launigen Moment jedenfalls muss es gewesen sein.
Was Herrscher entzückt ist Unterwerfung. Also verbot er kurzerhand, dass Reiter seine Festung hoch zu Ross passieren. Man hatte ab sofort aus dem Sattel zu steigen, das Tier am Riemen zu führen, und unter ständigen, der Festung zugewandten Verbeugungen, den Platz auf eigenen Füßen zu überqueren.
Die neue Geste, gewissermassen eine Parodie der Höflichkeit, war streng zu befolgen.
„Habe ich nicht gewusst“ oder „Total vergessen“, diesen lachhaften Ausreden der Uneinsichtigen begegnete man bei Bedarf mit etwas Auspeitschen.
Kaum eine Woche später fühlen wir uns einem vergleichbaren, hoheitlichen Einfall ausgesetzt.
Usbekistan hat sich trotz Unabhängigkeit, aus einer merkwürdigen Angst vor allem Möglichen, zur Konservierung eines beengenden Überwachungs- und Kontrollsystems entschieden.
Dem ständig begleitenden Gefühl, etwas falsch gemacht zu haben oder sich jeden Augenblick mit lästigen Schwierigkeiten herumschlagen zu müssen, kann der auf eigene Faust Reisende kaum entkommen. Das, so reimen wir uns zusammen, ist Ausdruck der grossen Sorge um das Wohl und die Sicherheit des Reisenden. Die Verantwortlichen verlangen, dass wir uns nach Ankunft an einem anderen Ort, um nicht ausversehen verloren zu gehen, jeweils neu registrieren lassen.
„Ist das denn zuviel verlangt?“ fragt der Ordnungshüter von oben herab. Und er grinst dabei mit seinen, etwas zu prächtig geratenen, goldenen Zahnreihen.
Unerträgliche Registrierungspflicht.
Trotzdem macht für uns der freie, einfache, eher verborgene Lagerplatz den besonderen Reiz unserer Art des Unterwegsseins aus. Campieren irgendwo am Waldrand, auf einer Kiesbank am Bach oder in den Dünen – wo möglich.
Vorsorglich haben wir das schon beim Grenzübergang zur Sprache gebracht:
„Sleeping Caravan – Hotel no!“, zur Verdeutlichung zusätzlich die Handflächen aneinandergelegt und den Kopf wie zum Schlafen darauf geneigt. Ohne Zögern wurden unsere Bedenken zerstreut:
„Maschina – no problem!“
Unsere Zweifel sind jedoch nicht ganz – sind nie ganz – beseitigt.
Der Aydarkol ist ein weitverzweigter, künstlich aufgestauter See am Rand der Kizilkum-Wüste. Eine schmale Strasse, die um das westliche Ende des Sees führt, ist streckenweise überflutet. Aus diesem Grund musste ihr neuer Verlauf über die sandigen Hügel ausser Reichweite des jetzigen Wasserstands verlegt werden. Dort, wo das alte Asphaltband allmählich im Wasser versinkt, bleiben wir für einige Tage völlig ungestört und können zur Abkühlung immer mal wieder entlang der ehemaligen Landstrasse durch die Wüste schwimmen.
Registrierung wird zum sinnlosen Begriff aus einer anderen Welt.
Beflügelt durch die Eindrücke und Erlebnisse der letzten Tage fühlen wir uns der Hauptstadt Tashkent gewachsen. Wir wissen, das mit unserer einfachen Art des Reisens geht in grossen Städten nicht immer so. Wo es nicht anders geht nehmen wir die üblichen Möglichkeiten des Beherbergungswesens in Anspruch.
Wir erkundigen uns also im Hotel Registan nach Zimmern. Der Rezeptionist – um uns als Gäste zu gewinnen hat er seinen ursprünglichen Preis um zehn Dollar herunterhandeln lassen – stellt beim Einchecken höflich aber bestimmt fest:
„I cannot accept you.“
Dass wir nicht akzeptabel seien hören wir zum ersten Mal. Duschen? Frische Wäsche? Staubige Schuhe?
„No – it´s a rule.“
Wie sich herausstellt, versuchen wir uns gerade, aus Sicht der Regierung, illegal ein Hotelzimmer zu bekommen. Die Registrierungsbelege müssen lückenlos sein. Der post-it-grosse Zettel für die vorige Nacht zumindest wird verlangt für die nächste Einbuchung. Unser Vorschlag, die gewünschte Registrierung morgen zu besorgen, wird abgelehnt:
„I cannot accept you – it´s a rule.“
Wir berufen uns auf die Logik. Ohne Hotelzimmer keine Registrierung, ohne Registrierung kein Hotelzimmer wird nicht als Argument anerkannt:
„I cannot accept you – it´s a rule.“
Wir merken, Argumente sind so wenig gefragt wie sonstige undurchsichtige Mittel der Einflussnahme.
Wir geben auf.
Doch es geht so weiter.
Beim zweiten Hotel dieselbe Fragestellung, dieselbe unnachgiebige Ablehnung. Und beim Dritten und Vierten ebenso.
Bitte beachten: Wir wollen hier keinesfalls den Eindruck entstehen lassen, Usbeken seinen nicht hilfsbereit und allesamt Handlanger dieser fragwürdigen Praxis. Allein, wenn es um Reglementierungen geht, können sie hart und korrekt werden.
Wir entscheiden uns schliesslich für einen Übernachtungsplatz am Strassenrand – Von der Seidenstrasse in die Seitenstrasse.
Lustiges Wortspiel.
Dabei wollen wir die OVIR, das ist die Behörde für Visa und Registrierungen, gar nicht umgehen. Ehrlich, billige Tricks sind wirklich nicht unsere Sache. Wir haben´s nur eben anders verstanden.
In unserem Reisebuch steht, wenn es die Hotels nicht erledigen, soll man sich um die Registrierung selber kümmern.
Und das tun wir dann auch.