Texte Usbekistan | Tashkent, August 2010
Genau vier Monate nach unserem Reisestart müssen wir unser Vorhaben „über den Karakorum-Highway von China nach Pakistan“ aufgeben. Als ob Erdrutsch und Überflutung allein nicht schon ausgereicht hätten, haben die verheerenden Unwetter der letzten Wochen die Strecke „bis auf Weiteres“, so die offizielle Formulierung, unpassierbar gemacht. Bis auf Weiteres können wir jedoch nicht warten. Die Vorbereitung der Befahrung, Beschaffung von Genehmigungen und Visa und die Abstimmung mit dem vorgeschriebenen Begleiter in China würden etwa zwei Monate benötigen. Ab Oktober spätestens machen die Höhe bis über 5000 Meter und Schnee und Eis die Befahrbarkeit des Karakorum-Highways fragwürdig. Da gibt’s jetzt, Mitte August, nichts mehr zu hoffen – wir müssen entscheiden. Natürlich kommt der Moment, sich neu orientieren zu müssen, nicht unerwartet. Aber wem genügt bei einem Anlauf mit so viel Schwung schon ein einfaches „Delete“?
Wir haben uns vorgenommen, das in Usbekistan endgültig zu entscheiden.
Allerletzer Blick ins Internet: Gibt das Auswärtige Amt in seinen Reise- und Sicherheitshinweisen neue Informationen? Was hat die Deutsche Botschaft in Islamabad auf unsere Anfrage hin rückgemeldet?
Nichts Neues! Das längst Bekannte noch einmal bestätigt!
Wir sind gestern in Tashkent, Usbekistans Hauptstadt, angekommen.
Die Stadt bietet sich an für die Organisation der Weiterreise. Die fraglichen Konsulate zur Einholung aller möglichen Visa sind hier.
Wir könnten versuchen, in einem weiten Bogen nördlich um das Kaspische Meer herum durch Kasachstan nach Russland zu kommen. Oder durch Kasachstan und Turkmenistan in den Iran zurück. Oder von Turkmenistan mit der Fähre über das Kaspische Meer ins aserbaidschanische Baku.
Viele Wege sind denkbar. Erstaunlich ist, dass vier gemeinsam Reisende mehr als vier verschiedene Vorstellungen vom weiteren Routenverlauf haben können.
Der „Green Garden“, die KAFE-BAR, die Grüntee und deutsches Bier in betont grünem Ambiente serviert, erscheint uns geeignet, wichtige Entschlüsse zu fassen. Die Chefin, extrovertiert aus der Tiefe ihres Wesens, erkennt in uns sofort Menschen, die man passend mit „Ich liebe dich“ begrüsst. Sie lässt uns gleich wissen, sie heisse Violet und ihr Dasein erhalte Sinn, wenn es ihr gelänge, uns jeglichen Wunsch zu erfüllen. Das hat sie wirklich gesagt.
Sie empfiehlt sehr das Bier. Wegen der anarchischen Herrschaft gewisser Bakterien in unseren Magen- und Darmbereichen fühlen wir uns mit Grüntee heute aber besser bedient. Violet versteht das.
Ihre Erscheinung lässt in der Phantasie eine wilde Vergangenheit aufleben. Mit der eng anliegenden, goldverzierten Leggins beweist sie die wunderbare Dehnbarkeit von Kunstfasern auch im Extrembereich. Auf unsere Vermutung, sie könnte zu Zeiten, als die Sowjetunion hier noch von Bedeutung war, eine stadtbekannte Tänzerin gewesen sein, sprechen wir sie lieber nicht an.
In resoluter Zuneigung formen ihre rot beschichteten Lippen „Du hast so schöne Augen“ und sie tänzelt beschwingt davon.
Ganz herzlich, wirklich bezaubernd, diese graziöse Usbeken-Fee.
Unsere Augen finden jetzt Gelegenheit über die verwinkelte Gartenterasse der KAFE-BAR zu wandern. In den kargen, trockenen Regionen des Orients waren Gärten seit jeher Orte der Spiritualität, die den Menschen in Einklang mit der Natur und ihren Schöpfer stellen.
Der Name „Green Garden“ bringt das ebenso einfache wie wirkungsvolle Gestaltungskonzept auf den Punkt. Die bevorzugte Farbe ist in der Tat hauptsächlich grün. Über die grün gepinselten Backsteinmauern ranken sich überall grüne Weinblätter an grünen Stängeln. Üppig grüne Vegetation, wie in einem tropischen Garten, wo immer sich Platz zur Ausbreitung findet. Im Hintergrund plätschert leise ein Brunnen. Nur die Flammen in der flachen Schale daneben, die werden durch ein paar bunte, im Luftstrom züngelnde Stoff-Fetzen vorgegaukelt.
Die kleine Täuschung weckt leider die Aufmerksamkeit. Sind nicht auch die Weinblätter so unglaublich perfekt wie es nur Kunststoff sein kann? Tatsächlich, genaueres Hinsehen verrät, dass das Ganze, reichlich wuchernde Grün mit diesem herrlich pflegeleichten Material imitiert wird.
Und man erkennt, bei soviel Steppe und Wüste tut das paradiesische Grün auch in seiner entzauberten Form einfach gut.
Dann bestellen wir Griechischen Salat und Armenisches Omelett, verfeinert mit dem hier üblichen Korianderkraut, das man allerdings mögen muss, und, um die desinfizierende Wirkung des Grüntees zu verstärken, Bier.
Als wir den „Green Garden“ verlassen, wählt Violet aus ihrem Repertoire großer Gesten noch den „Abschiedsschmerz mit rührender Miene“ und beschwört flehend: „Don´t break my heart“.
Wir bedauern, aber wir müssen jetzt wirklich weiter.
Unsere Entscheidung fiel übrigens für die Kasachstan-Russland-Route.