Texte Kasachstan | Aral, September 2010
Ursel:
Kasachstan – eine der Nächte irgendwo in der Steppe. Es ist kalt und stockfinster, kein Mond zu sehen und die Sterne haben sich auch irgendwie verkrümelt. Und ich muss mal für kleine Mädchen. Na ja, dann eben möglichst schnell. Ich mache die Bustüre auf und dann hör´ ich es. Ein heulen, jaulen oder so was. Na toll, jetzt auch noch ein Wolf hier in der Nähe? Ich nehm’ lieber mal die Lampe mit und mach echt superschnell.
Udo:
Am folgenden Morgen wird es dann klar. Ein Blick aus dem Busfenster zeigt mir Nicole mit einem Hundewelpen spielen. Oh je – so ein kleiner Scheißer, mittelbraun mit schwarzer Schnauze. Er zittert am ganzen Leib, vor Aufregung oder Kälte kann ich nicht genau sagen – bin ja kein Hundeexperte. Vorsichtshalber nehmen wir ihn mal mit in den Bus zum Aufwärmen. Dort bekommt er kasachische Wurst und Nudelpfanne vom Vorabend. Nach solch einem Mahl muss die Ursel natürlich aufs Klo und verlässt den Bus. Unser Welpe will hinterher, schafft aber die 30 cm Höhe zwischen Schiebetür und Boden noch nicht und purzelt kopfüber bis zur Rudelführerin. Oh je – das bricht Herzen – und jetzt ?! Wir können den Kleinen nicht in der Wüste zurücklassen; das würde er wohl kaum überleben. Also – Decke auf die Sitzbank und mitnehmen.
Uns ist klar: den Hund durch Kasachstan nach Russland bis Werweißwohin zu schmuggeln ist aussichtslos und würde dem Scheißer mehr schaden als gut tun. Wenn wir ihn aber länger als ein oder zwei Tage behalten, geben wir ihn wohl nicht mehr her.
Nach etwa zwei Stunden Fahrt sehen wir rechts einen Hof mit Cay-Stube und beschließen es hier zu versuchen. Unser Plan sieht so aus: wenn uns die Leute sympathisch erscheinen, geben wir ihnen den Hund. Zusätzlich 10.000 Tenge (50 Dollar) damit sie den Kleinen gut versorgen können.
Ursel:
Ich geh’ also, den Welpen auf dem Arm, entschlossen zur Tür und betrete den Raum. Drei Männer liegen auf Bänken und Sofas um einen Tisch, der mit allen möglichen Leckereien gedeckt ist. Wie man es sich bei den alten Römern vorstellt, wandern die Hände immer wieder zum Tisch , mit Speisen gefüllt dann wieder zum Mann. Die Nahrung wird von oben lustvoll in den Mund geschoben. Mangels Sprache versuche ich pantomimisch mein Anliegen vorzutragen. Ich zeige also zuerst auf den Welpen und dann auf einen der Liegenden, um klarzumachen, dass ich ihm den Kleinen dalassen will. Danach führe ich die Hand zum Mund, deute Essen an und zeige wieder auf den Hund, damit klar wird, dass dieser zu füttern ist. Zuletzt mache ich das Zeichen für Geld, die Finger der rechten Hand aneinander reibend. Die Männer finden meine Vorstellung allerdings nicht so prickelnd und gaffen mich gelangweilt an, weiterhin ihren kulinarischen Genüssen frönend. Immerhin sagt einer irgendwas und zeigt mit dem – wenn auch nur kurzfristig – freien Finger auf eine weitere offene Tür.
Dort in der Küche sind zwei Frauen, die offensichtlich die Köstlichkeiten zubereitet hatten. Ich führe erneut mein wortloses Schauspiel auf. Die Reaktion der Frauen ist überraschend. Die eine verlässt wütend und schimpfend die Küche, die andere schaut mich angewidert an und macht mir klar, dass sie den Hund auf keinen Fall nimmt. Aus meinem Halbwissen über Moslems, die Hunde als unrein bezeichnen, folgere ich, dass sie es wohl irgendwie schlimm findet, einen Hund in die Küche zu bringen. Ich gehe etwas verzweifelt wieder zu den Männern und strecke ihnen den Hund nochmals entgegen. In seiner liegenden Pose und mit souveräner Geste lehnt einer aus der Runde ab und raunt: „Moslem“. Er begleitet mich nach draußen und scheint den kleinen Rüden doch ganz nett zu finden. Ich leg ihm den Welpen einfach mal in den Arm.
Udo:
Der Hofherr ruft mich herbei und macht das übliche Zeichen für Geld mit seiner rechten Hand. Da ich keine Ahnung hab’, was drinnen so vor sich ging, zieh’ ich die 10.000 Tenge aus meiner Hosentasche und übergeb’ sie dem neuen Hundebesitzer. Er zählt die Scheine und saugt anschließend mit einem Pfeifton Luft ein. Ich verstehe seine Reaktion nicht und versuche ihm klar zu machen, dass 50 Dollar hier sehr viel Geld sind, ich auch nicht mehr hab’ und der Hund doch total lieb und süß ist. Mit dem Geld in der einen Hand und dem Welpen im Arm nickt er etwas weggetreten und ich denke: OK – das Geschäft ist gemacht! Mit Schmerzen streichle ich dem Kleinen zum Abschied noch mal über den Kopf, deute mit erhobenem Zeigefinger auf den Hund was heißen soll „gut aufpassen !“, dreh mich um und muss gehen.
Ursel:
Zu dumm, dass ich nicht so schnell abgedreht habe. Schon wird mir der kleine Rüde wieder entgegengestreckt. Dann halt nicht – vielleicht auch die Hoffnung, ihn entgegen jeglicher Vernunft doch behalten zu können. Ich nehm’ ihn wieder, vergesse aber nicht, dem Caywirt auch das Geld aus der Hand zu ziehen. Der Kleine quietscht ein bisschen – kein Wunder nach dem Hin(h)undher – ich lass’ ihn mal auf den Boden. Dort tappst er munter durch die Gegend und findet auch zielstrebig die Köchin, welche die Küche wütend verlassen hatte. Sie hockt sich hin und tollt freudig mit ihm herum. Der Mann winkt mich nochmals heran. Ich gebe ihm das Geld wieder, zeige erneut auf den Hund, dass aus dem Kleinen ein Großer werden soll. Endlich grinst der Wirt mich erfreut an; die Köchin hat den Findling bereits „Jack“ getauft – wahrscheinlich glaubt sie, wir seien Amerikaner. Und dann heißt’s tschüß du süßes, kleines, knuddeliges Schnuckelschnäutzelchen.
Udo:
Als wir nach Aral einfahren, geht uns langsam ein Licht auf wobei sich Tränen des Abschieds zu Tränen vor Lachen verwandeln.
Was ist denn da passiert ?
Zunächst muss man wissen, dass man in Kasachstan ein paar Geldscheine zückt, um zu zeigen was die Ware kostet. Diese Eigenart gegenüber Ausländern ist uns auf Märkten mehrmals begegnet und hätten wir eigentlich wissen sollen. Folglich hielt der Wirt unser gut gemeintes Angebot für eine überzogene Preisforderung. Dann bekam er einen Hund, den er schon bereit war zu kaufen und 10.000 Tenge obendrein. Weiterhin fragt er sich bestimmt, ob er den kleinen Jack jetzt dafür essen muss.
Bericht von Ursel Seiler und Udo Thiele