Arier am Badesee

Texte Iran 1 | Ovan-See, Juli 2010

Vorab muss ich erst mal anmerken, dass das Volk der Iraner (nach deren Aussprache liegt die Betonung übrigens auf dem I) – also dass das Volk der Ihraner mir ziemlich fremd ist. Aus diesem Grunde möchte ich lieber keinerlei Interpretation ihrer Gedankenwelt oder gar Beurteilungen ihrer Handlungsweisen abgeben. Deshalb unternehme ich den Versuch, mich auf die iranisch-deutschen Gemeinsamkeiten zu konzentrieren.

Just in diesem Moment steht eine 14-köpfige Gruppe vor dem Bus und ist sehr interessiert an unserem Eindruck von Ihran. Sprecherin ist ein ca. 18-jähriges, gut englisch sprechendes Mädchen, welches uns „Welcome to our country“ heißt. Sie ist rund 1,70 groß, schlank, feingliedrig mit klaren Gesichtszügen und freundlichen, weichen, wissbegierigen Augen. Ihr Outfit mit langer grauer Hose, schwarzem Mantel und dem obligatorischen Kopftuch verbirgt ihre Attraktivität nicht vollständig. Wie schon oft wird betont, dass die Ihraner und die Deutschen sich sehr nahe stehen. In unserem bislang 14-tägigen Aufenthalt hier haben wir herausgefunden, dass dafür die gemeinsame arische Abstammung verantwortlich sein soll. Wie auch immer…

…die Ähnlichkeit lässt sich beispielsweise in der Vorliebe für Wochenendausflüge an den See beobachten. Kurz vor Mittag strömen Scharen von Menschen ans vermeintlich erfrischende Nass. Decken werden ausgebreitet, auf denen sich Familien oder Freunde platzieren. Geht man davon aus, dass es sich im Ihran um Gruppen handelt, handelt es sich in Deutschland freilich allenfalls um Grüppchen. Die Grillfeuer werden in Ihran direkt neben der Sitzgelegenheit gestartet, zum Anzünden ein ordentlicher Schucker Benzin verwendet. In Deutschland wird meist eher mit Brandschale und Grillanzünder hantiert. Die Sache an sich bleibt aber die gleiche. Hi wie dort hockt man für zwei, drei Stunden beisammen, redet, lacht, verspeist das Mitgebrachte, spielt Feder- oder Volleyball und genießt ganz einfach das Nichtstun an einem schattigen Plätzchen. Nur bei näherer Betrachtung erkannt man einen kleinen Unterschied: während in Deutschland die Leute bei über 40° C eher leicht bis gar nicht bekleidet sind, ziehen die Ihraner es vor, den ganzen Körper möglichst schick zu bedecken. Männer in Bundfaltenhosen und langärmligen, frisch gebügelten Hemden, die hauptsächlich in den Farben weiß, rosa und hellblau vertreten sind. Frauen sind in der Mehrheit von oben bis unten schwarz eingepackt. Die jüngeren tragen auch gerne einmal ein gewagtes tailliertes Beige. Dazwischen hüpfen wie bunte Tupfer die Kinder; als ob ein möglichst großer Kontrast zum späteren Dasein geschaffen werden soll, fallen vor allem die Mädchen in pinkfarbenen Mini-Kleidchen oder orangenen Micky-Maus-T-Shirts auf.

Der Bekleidungskult im Ihran führt allerdings dazu, dass das wirkliche Baden im See so gut wie nicht stattfindet. Ist man in Deutschland bei solcher Hitze zum Zickzackschwimmen verdonnert, hat man hier – sofern die Wassertiefe von 50 cm mal überschritten ist – recht freie Bahn. Nur ein paar junge Männer wagen sich in Badehosen etwas weiter hinaus. Alle anderen verbleiben in voller Montur knietief am Seerand watend.

Am späten Nachmittag werden alle Utensilien wieder zusammengepackt und die Familien reisen nach und nach wieder ab. Die Zeit der Jungen und Halbstarken beginnt. Den Mopeds wird auf den holprigen Strecken alles abverlangt, was rauszuholen ist und die Jungs schaffen es locker, mit Gegröle das Knattern und Jaulen der Maschinen zu übertönen. Besonders cool ist es, mit Papas Auto direkt bis zum Wasser zu fahren, die Stereoanlage bis zum Anschlag aufgedreht und die Landschaft mit einem ordentlichen Techno-Ballermann-Mix zu beschallen. Hier ist wirklich kaum mehr ein Unterschied zwischen den Kulturen auszumachen. Im Ihran sind zwar (fast) keine Mädels dabei, schrilles Gilfen wird von den Jungs aber hervorragend ersetzt.

Sobald es dunkel ist, probiert sich die Jugend am Alkohol. Gott sei Dank gibt es in Deutschland Bier; der ihranischen Jugend steht offensichtlich nur härterer Alkohol zur Verfügung – woher der auch immer kommen mag, das Teufelszeug. Viele bleiben bis in die frühen Morgenstunden, wobei der Geräuschpegel so ab Mitternacht schrittweise nachlässt.

Zusammengefasst sieht ein Tag am Badesee in Ihran und in Deutschland gleichermaßen so aus: zuerst fressen, dann siechen, dann grölen und am Ende ist alles zugemüllt.

> Der abschliessende Satz unterliegt der vorläufigen Zensierung <

Bericht von Ursel Seiler


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