Texte Zum Bosporus | Steiermark, April 2010
Kurz vor der Abreise haben wir noch einmal im Internet zu unserer Strecke Richtung Bosporus recherchiert. Wir haben keine Eile und suchen unübliche Routen abseits der Schnellstrassen. Zufällig stossen wir beim Herumsuchen auf eine Seite, die uns aufmerksam macht.
Die gibt Auskunft von einem geschichts- und geschichtenträchtigen Menschenstrom quer durch Südosteuropa, eine Art „Nabelschnur“ von München bis Istanbul, zwischen der Fremde und der Heimat.
Manche Länder schlossen ab Anfang der sechziger Jahre Anwerbeverträge mit den ärmeren Nachbarn im Süden ab. In der Hoffnung auf ein besseres Leben verließen viele ihre Heimat und zogen in die aufstrebenden Wirtschaftswunderländer im Norden. Der voreilig übernommene Begriff Fremdarbeiter wurde rasch durch Gastarbeiter ersetzt, und die „Nabelschnur“ erhielt einen Namen: „Gastarbeiterroute“.
Und irgendwie waren sie dann immer alle unterwegs auf dieser „Route der Sehnsucht“, mit dem Auto von Norden nach Süden und ein paar Wochen später wieder zurück nach Norden. Jedes Jahr ein paar Mal.
Eine Route voller Ereignisse – schicksalhafter und erstaunlicher, eine Route, über die heute nicht mehr berichtet wird – das klingt nach einem guten Reiseweg.
Der Gedanke, dieser Strecke zu folgen, gefällt uns.
Das bemerkenswerteste Stück, ein Nadelöhr im Gebirge sozusagen, war, damaligen Zeitungsmeldungen zufolge, die östliche Durchquerung der Alpen und der Steiermark, vom Tourismusverband freundlich „das grüne Herz Österreichs“ genannt.
Die Strecke folgt ganz unspektakulär, aber in sehr schönen Schlangenlinien, einer sehr alten Strasse. Kelten und Römer wussten es auch zu schätzen, dass der Weg an keiner Stelle die 900 Meter übersteigt.
Uns gefällt die Geschichte eines unbeugsamen Jugoslawen, weil er sein Ziel nicht leichtfertig aufgegeben hat – 1975 auf der Gastarbeiterroute. Das Getriebe seines Fahrzeugs hatte fast vollständig seinen Dienst eingestellt. Genauer gesagt, es funktionierte nur noch der Rückwärtsgang. Das war noch kein Grund für ihn, die Reise mit dem Fahrzeug abzubrechen. Warum auch?
Er gehörte wohl zu den unbeirrbaren Menschen, die sich durch nichts so leicht aus der Fassung bringen lassen. Wo andere die Weiterfahrt resigniert aufgegeben hätten, wusste er sich zu helfen, legte den verbliebenen Rückwartsgang ein und schloss sich in Rückwartsfahrt der Stop and Go-Kolonne wieder an.
Immerhin schaffte er auf diese Weise noch 30 Kilometer bevor ein aufmerksamer, österreichischer Gendarm das endgültige Aus bedeutete.
Kuriose Geschichte.
Nicht weit von Mautern, gerade in dem Moment als wir eine niedrige Strassenbrücke überqueren, die erschrockene Aufforderung von Nicole: „Stop! Halt an! Da ist gerade ein Mann kopfüber in den Bach gestürzt.“
Mit dem vorwurfsvollen Gedanken an eine Täuschung – möglicherweise ein schräg stehender Baum am Ufer – von mir aus sogar gerade eben umgefallen – halte ich an.
Einige Augenblicke später stehen wir suchend auf der Brücke, und tatsächlich, ein Mann stapft triefend nass über die Wiese und setzt sich benommen auf eine Bank.
Auf die Frage, ob wir helfen können reagiert er etwas verlegen: „Hom’s `leicht zugschaut?“ und fügt erklärend hinzu „Jo, dös kommt vor.“
Kuriose Geschichte.
Wir setzen unsere Reise fort durchs grüne Herz Österreichs.