Texte Zum Bosporus | 'Gastarbeiterroute', April 2010
Graz ist eine Stadt traditioneller Werte und kultivierter Lebensfreude, das merkt man schnell.
Anstelle von City wird hier noch von Mitte gesprochen, Liebhaber alter Autos fahren, von schönen Frauen begleitet, Oldtimerralleys und bei McDonalds gibt es alle Getränke alternativ auch mit Sojamilch.
Mit der WLAN-Verbindung hat es im McCafe allerdings nicht geklappt und der Cappuchino ist nicht vergleichbar mit dem bei TRIBEKA (TRInk BEsseren KAffee) gleich drüben im lockeren Cafe am Mur-Ufer. Und kostenloses WLAN funktioniert dort bestens. Im Erdgeschoss wird eher geredet und gelacht, aber oben im 1. Stock, alles voller Leute mit Laptops – überwiegend Schüler.
Graz gefällt uns.
Die Gastarbeiterroute wird im ehemaligen Vielvölkerstaat Jugoslawien vom “Autoput”, der “Strasse der Brüderlichkeit und Einheit”, fortgesetzt. Die Jugoslawienkriege ab Anfang der 90-er Jahre haben beides, Brüderlichkeit und Einheit, äusserst blutig enden lassen. Der Autoput, zwischenzeitlich erwachsen geworden, fast durchgängig vierspurige Autobahn, ist heute als “Korridor X” bezeichnet eine der wichtigsten Verkehrsachsen Europas. Er führt nunmehr durch drei Staaten anstelle einem Jugoslawien: Slowenien, Kroatien und Serbien. Die Veränderungen haben ihren Preis: 15.- Euro Maut in Slowenien, 31.- Euro in Kroatien und 32.- Euro in Serbien.
Balkan. Fahren wie über einen endlos gewölbten Topfdeckel, der Horizont immer irgendwo hinter dem Rand, und wenn man dort ankommt wieder genauso, mit immer gleicher Geschwindigkeit, die Räder scheinen am Asphalt zu kleben, so zähes Vorankommen.
Überall werden Euro genommen, mal mehr, mal weniger, der eigentliche Wechselkurs ist nicht auszumachen. Wir verteidigen unseren Geldbeutel so gut wir eben können.
Grenzer, die Pässe mit Fahndungslisten am Bildschirm abgleichen und dröhnend stempeln und Grenzer die sich mit uns freuen wenn sie hören, dass wir bis in die Türkei fahren möchten – mit dem eigenen Auto – Camping.
Als sich die Route verzweigt halten wir uns südostwärts, noch ein Grenzübergang und wir bewegen uns auf heruntergekommenen, bulgarischen Strassen. Die letzten hundert Kilometer durch den grünhügeligen Südosten Bulgariens, Überbleibsel vergangener Zeiten gewissermassen, lassen die Gastarbeiterroute der 70-er und 80-er Jahre nocheinmal aufleben.
Der gesamte Verkehr zwischen Europa und Asien scheint über dieses schmale, unübersichtliche Strässchen zu rollen.
Und schliesslich, unvermittelt finden wir uns eingeklemmt zwischen unzähligen LKW’s – das muss die bulgarisch-türkische Grenzstation sein.