Irgendwie ganz lässig

Texte Mongolei | Nahe Tsenkher, Zentrale Mongolei, Juni 2012

Oder besser gesagt, er gehört zu denen, die sofort anfangen über irgendwelche Differentialsperren und Wattiefen zu reden. Auf seinem schwarzen T-Shirt steht BARACUDA, in weissen Buchstaben, die aussehen, als möchten sie gleich beissen – sehr unterhaltsam anzuschauen.
Ich nicke von Zeit zu Zeit.
Genaugenommen weiss ich nur, dass wir in unserem Sprinter zwei Knöpfe haben, mit denen man bei Bedarf den Antrieb umschalten kann. Wir benutzen aber immer nur einen davon, den mit dem kleinen Allradfahrwerk darauf.

„Der Sprinter taugt nichts für solche Touren“, sagt Baracuda, „zu wenig Bodenfreiheit und sehr sehr schwach ausgelegt, wie man ja weiss“.
Kaum zu glauben, schwarzes T-Shirt mit weissem Baracuda-Aufdruck, mitten in der Steppe, denke ich, und ausserdem halten wir uns immer an Asphalt und Brücken oder zumindest in den sicheren Spuren anderer, aber ich sage es natürlich nicht.
Ich sage statt dessen: „Weiss nicht“.
Ein anderer kommt dazu, ebenfalls mit Baracuda-Bekenner-T-Shirt, wir schütteln uns die Hände und er fragt ein bisschen laut:
„Alles klar Männer?“ und „Wem gehört denn der grüne Sprinter da?“
„Ist unserer“, sage ich als ob das nicht von Bedeutung wäre, weil das Auto zwar ganz praktisch, aber sonst halt langweilig ist.
„Aha“, sagt der Allrad-Mann.
Dann fangen sie auch noch an über Allradabenteuer zu reden. Sie schwärmen von affengeilem Gelände und Pistenfun vom Allerfeinsten und so was. Und obwohl sie auf ihre Art natürlich komplett Recht haben fällt mir plötzlich ein, dass ich mir aus ultimativen Offroadspass ja gar nicht so viel mache. Vielleicht auch, weil mich die kleinlichen Bemerkungen über unseren Sprinter ärgern, ich glaube ein bisschen sogar kränken.
Ich gehe einfach.

Danach brechen wir auf.
Es ist wirklich nicht mein Tag heute, das merke ich daran, dass ich beim Abbiegen mit dem Hinterrad über eine Bordsteinkante holpere. Ausgerechnet hier, ich frage mich wozu die an so einer dämlichen Steppentankstelle Bordsteinkanten brauchen. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie meine stets aufmerksame und überaus mitfühlende Reisegefährtin die Augen verdreht. Ich beachte es nicht. Die Mongolei ist nun mal eins von diesen Nomadenländer für Menschen, die sich nichts vorschreiben lassen.
FAHREN
FREI
TAGELANG
Wo endlose Pisten durch grenzenlosen Raum mäandrieren, wo man den zeitlosen Wind wogender Steppen atmet und das stolze Reitervolk sich in trostlosen Wintermonaten und kurzen Sommern durch unermüdlichen Wodkagenuss ein tiefes Gefühl der Unbeschwertheit verschafft … Sehr zu empfehlen …
CHINGGIS WHITE
BENANNT NACH DEM
MANN DES JAHRTAUSENDS
DREIFACH DESTILLIERT
UND MILCHGEFILTERT
… das ist nämlich kein so abstossendes Proletenzeug, dass nur die Gewaltbereitschaft enthemmt und fürchterlich im Hals brennt.
Aber so ganz stimmt das ja auch wieder nicht … das mit dem Chinggis.
Schliesslich hat der Chinggis Khan sein ganzes Leben mit Erobern und Ermorden zugebracht – MONGOLIA SUNRISE TO SUNSET – und als er nicht mehr weitergekommen ist, ist er heimgeritten und gestorben. Ich hoffe, ich gebe das jetzt richtig wieder. Bald war alles wieder zerfallen. Selbst seine Weltreich-Hauptstadt, die Karakorum heisst oder Kharkorin oder so, ist heute nur noch ein kleines, vergessenes Provinzdorf, wo einem herumstreunende Hunde an die Autoreifen pinkeln.
Wo bleibt denn da die Logik?
Die Mongolen verehren ihn aber sehr, sie drucken sein Gesicht auf ihre Geldscheine.
Ich finde das übertrieben.
Ich glaube, der Chinggis war eigentlich ein richtiger Blödmann.
Aber wie schon gesagt, es ist nicht mein Tag heute, und ich denke man soll das nur sagen, wenn man einen guten Tag hat.

Genau wie mit der Flussdurchquerung.
Jeder muss die Furt auf seine eigene Weise nehmen. Die schwache Fahrspur verliert sich auf der Kiesbank. Man könnte die Männer fragen, die drüben am Ufer auf etwas warten. Vielleicht wüssten sie eine bessere Stelle. Aber fragen bedeutet Zweifel zulassen und ich habe keine Lust auf Zweifel. Vielleicht ist es das aber auch gar nicht. Ich erinnere mich daran, dass meine unglaublich umsichtige Reisegefährtin immer sofort fragt, wenn sie zweifelt, und sie möchte, dass ich das auch so mache. Aber ich mag das nicht, für mich ist das nicht so wichtig.
Es wird schon gehen. Ich überlege nicht lange. Stehenbleiben will ich nicht. Ich drücke den Schalter mit dem kleinen Fahrwerk drauf. Der Sprinter spritzt durch das glasklare Wasser.
Irgendwie ganz lässig.
Die Räder wühlen sich energisch durch die faustgrossen Kieselsteine, sie graben sich tiefer und tiefer in den Untergrund, bis sie am Ende hilflos durchdrehen.
Dumpf blubbert der Auspuff unter Wasser.
Mein erster Blick geht zu den Männern am Ufer vor uns. Sie sitzen da und schauen als hätten sie’s genau gewusst. Man weiss ja wie die Mongolen so da sitzen. Ich meine, klar, dass das ungeheuer peinlich ist. In diesem Moment beginnt die Sonne durch eine Lücke zwischen den Wolken zu scheinen.
Meine reizende Gefährtin sagt:
„Wir hätten die Männer fragen sollen“.
Ich frage: „Wozu?“
Sie antwortet: „Sie hätten uns sagen können wo es geht“.
Ich: „Es ist nicht so tief, sonst hätte ich es ganz bestimmt genauer angesehen“.
Sie: „Du hast ja gar nicht geschaut“.
Ich: „Wir waren zu langsam, das war Alles“.
Sie: „Spielt keine Rolle wie es passiert ist“.
Ich: „Du musst immer das letzte Wort haben“.
Sie: „Damit als Letztes noch was sinnvolles gesagt ist“.
Dann ist es still.