Texte China | Mai 2012
Mai 2012. China. Der folgende Text ist nicht objektiv. Es ist ein launischer Bericht darüber, wie das Land mit uns umgeht. Groll aus der Erinnerung hat sich in die Zeilen gelegt. Ein ausgewogener Text, das ist der Haken, wäre nicht die Wahrheit.
Asien ohne China ist nicht Asien und eine Asienreise ohne China ist keine richtige Asienreise! Schön gesagt.
Aber das ist nur die halbe Wahrheit.
Lieber hätten wir uns die wahnwitzigen Kosten und den lästigen Papierkram erspart, ganz abgesehen vom Zwangsbegleiter.
Die Wahrheit ist, alternative Strecken sind im Moment auch nicht einladender.
Pakistan im Süden, Belutschistan vor allem, ist trotz Polizei- und Militäreskorten nach wie vor ein fragwürdiges Unternehmen.
Und Pakistan im Norden?
Der Karakorum-Highway ist seit dem grossen Erdrutsch vor zwei Jahren schwieriger geworden. Ein Stausee hat sich gebildet. Man muss sich und sein Fahrzeug auf notdürftig dafür hergerichteten Booten übersetzen lassen. Dennoch eine überlegenswerte Variante.
Wir entscheiden uns jedoch gegen die Strecken durch Pakistan.
Stattdessen wählen wir einen anderen Weg, den Asien seit fünf Jahren bereithält, die Süd-Nord-Verbindung durch Fernost. Eine Route, die bis dahin nur mit dem Finger auf der Landkarte möglich war. 2007 kam die Öffnung für Selbstfahrer.
>> Ausländer, die einen von ihrem Heimatland ausgestellten Führerschein haben, können, gemäss eines Paragraphen in einer Regelung des Ministeriums für nationale Sicherheit, einen befristeten Führerschein beantragen und in China fahren, ohne entsprechende Prüfungen ablegen zu müssen. Die Regelung wird ab 1. Januar 2007 wirksam, berichtete die Beijing Youth Daily. <<
Einleuchtend, eine Gefährdung der nationalen Sicherheit durch ausländische Autoreisende ist mit der Ausstellung eines temporären chinesischen Führerscheins zu vermeiden.
Wo man bis vor Kurzem nur bis zur Grenze hinauf durfte und über die Brücke der Freundschaft hinüber schauen auf die Strasse nach Tibet, darf man heute mit eigenem Auto, entsprechenden Genehmigungen und unter Begleitung eines staatlich geprüften Aufpassers über Lhasa und Peking durch China und weiter in die Mongolei fahren.
Genauer gesagt, erst auf der Nepal-China-Freundschaftsstrasse über die Himalayakette, dann irgendwo in Tibet einen chinesischen Führerschein bekommen, weiter durch das Reich der Mitte gereist werden und schliesslich, auf der anderen Seite der grossen Mauer, in der mongolischen Steppe wieder frei durchatmen.
Die Idee gefällt uns – und die Wahrheit ist, eine weitere Schleife auf unserer Routenkarte ist auch ästhetisch gefälliger.
Aber das ist noch nicht die ganze Wahrheit.
China, bekannt wegen seines Porzellans und seiner Seidenraupen, gehörte einst dem Kaiser, heutzutage jedoch der kommunistischen Partei, bekannt wegen ihres Misstrauens und blöden Bürokratismus.
Die Wahrheit ist, die hohe Obrigkeit liebt das Spiel mit der Macht und die perfekte Kontrolle. Tibet ist für Ausländer bis heute nicht frei zu bereisen. Genehmigungen werden ohne erkennbare Gründe abgelehnt, erteilt und widerrufen, die Grenzen kurzfristig geschlossen oder geöffnet. Das macht die Vorbereitung einer Reise, vor allem mit eigenem Fahrzeug, unberechenbar. Das leiseste Blinzeln der Behörden und die Schranke bleibt zu.
Wir haben einen günstigen Zeitpunkt erwischt – nicht ohne uns mit einer Reihe von behördlichen Schwierigkeiten herumschlagen zu müssen – und konnten im Mai 2012 durch Tibet fahren. Glücklicherweise wurde Tibet schon zwei Wochen vor unserer Einreise geöffnet und erst einen Monat nach unserer Fahrt wieder geschlossen.
Aber das ist immer noch nicht alles.
Da war noch die Sache mit dem Beamten, der es gut mit uns meinte.
Wenn man endlich drin ist, braucht man eine Zulassung und eine Prüfung für das Auto und befristete Führerscheine für die Fahrer.
Wir halten das Ganze natürlich für Quatsch.
Die Ausstellung eines temporären chinesischen Führerscheins kostet uns einen Tag, zwölf Passbilder, 22×45 mm, vor weissem Hintergrund – „Nein, hellgrau ist nicht erlaubt“ – und die Beantwortung von zwei Fragen.
Zur Befragung werden wir in ein vornehmes, leider, trotz dekorativer Holztäfelung, mit kulturrevolutionärer Blechschranktradition ausgestattetes Amtszimmer geführt. Es riecht wie alte Schublade und man denkt, da käme jetzt eine ziemlich wichtige Sache. Wir schwanken zwischen ‚Missmut-zeigen’ und ‚Guten-Eindruck-machen’, weil wir ja durch China wollen. Der pflichtgebeugte Beamte, den man zuerst nur als herabhängende Schultern und Brille mit spiegelnden Gläsern im massiven Bernsteingestell wahrnimmt, schaut müde hinter dem Schreibtisch auf, als sei er sich der Sinnlosigkeit seines Tuns bewusst. Aber es ist das Gesetz und er hat offenbar die Verantwortung für die Herausgabe unserer Führerscheine zu übernehmen.
Wortlos, mit einer flatternden Handbewegung macht er klar ‚Da hinsetzen’.
Wir setzen uns.
„Sind Ihnen – chinesischen Verkehrsregeln bekannt?“, fragt er.
Ehrlich gesagt haben wir uns über Einzelheiten nicht informiert. Wozu auch? Wir nehmen doch an, dass es irgendwie ähnlich läuft, wie überall auf der Welt. Aber nein sagen geht jetzt nicht. Das würde den gefälligen Ansatz des Gebeugten durcheinander bringen. So geben wir die nahe gelegte Antwort.
Wir sagen ‚Ja’.
Zu unserer Entschuldigung muss man sagen, wir halten das nur für eine kleine Unwahrheit, so eine amtlich gewollte Ungenauigkeit im Sinne der Sache.
Und, wie schon gesagt, uns kommt das Ganze ja eh albern vor.
Der Gebeugte lässt es sich nicht anmerken, er kommt zur zweiten Frage:
„Auf welcher Strassenseite fährt – in China?“
Als hätten wir nicht mitbekommen, auf welcher Seite wir die gesamte Strecke von der Grenze bis hierher zurückgelegt haben. Man hat wirklich nicht den Eindruck, als stehe mehr auf dem Spiel als die Wahrung des Scheins.
Wir sagen ‚Rechts’.
Es ist nicht wichtig. Der Gebeugte beachtet uns nicht weiter. Er schreibt auf Formularen herum.
Er beugt sich vor, als wolle er die Reste einer Nudelsuppe von den Akten schlürfen. Vermutlich sind ihm seine Fragen ja peinlich, so wie die unausgegorenen Vorschriften seiner übergeordneten Behörde. Oder deprimieren ihn einfach nur die fürchterlichen Blechschränke. Das wäre verständlich.
Ist eigentlich auch egal.
Ein chinesischer Führerschein muss sein, soviel ist sicher, und deshalb sitzen wir immer noch hier und warten.
Auf einmal schiebt er den Papierkram zur Seite und sagt:
„Deutschland.“
Weil wir annehmen, dass wir gemeint sind, nicken wir.
Er sagt noch:
„Wir – Freude – an ihrer Bewunderung über unser Land. Haben sie – angenehme Reise.“
Hat er Bewunderung gesagt?
Er zeigt schon zur Tür.
Wir bedanken uns, ohne genau zu wissen wofür, und gehen hinaus auf den Gang.
Liebe Freunde, ja, in China fährt man rechts und wir bekommen unsere Führerscheine am Schalter 3.
’Ja’ und ‚Rechts’ … das ist die ganze Wahrheit.