Texte Mexiko | Chihuahua, März 2018
Mexiko. Chihuahua. Eine Ansammlung verschiedener Sportanlagen. Ein Parkplatz. Das Gelände auf dem wir unseren Platz finden, heisst ‚Ciudad Deportiva‘. Es ist das weitläufige Sportviertel der Stadt. Jogger haben schon erste Nachmittagsrunden hinter sich. Fruchtsaftverkäufer die Läden ihrer Verkaufsbuden aufgeklappt. Sie empfehlen biologische Ernährung für ein langes Leben und ewige Jugend.
Wir sind umgeben von Stadien und Sportplätzen, Basketballkörben an den Seiten und gelben und weissen Markierungen auf dem Asphalt unter uns. Nachts werden die Schranken geschlossen und wir dürfen drin bleiben. Auf einem bewachten und ab und zu sogar von der Polizei kontrollierten Parkplatz.
In diesem Teil der Stadt soll es sicher sein, sagen die Meisten. Wir fühlen uns dennoch seltsam verunsichert. Absurd, ausgerechnet von der Polizei Sicherheit zu erwarten. Die Leute haben das Vertrauen in den Staat, die Politiker, die Polizei, in alles verloren, heisst es oft.
„Nimm zehn Polizisten, fünf davon kannst Du nicht vertrauen.“ Die Frage ist immer nur: Welchen? Und man merkt, die Bevölkerung fühlt sich im Stich gelassen von allem was sowas wie Sicherheit versprechen könnte. Das Land hat ‚Krebs‘. Wuchernde Gier, Gewalt und Misstrauen. Eine der wiederkehrenden Fragen in unseren Gesprächen lautet: Wie kommen die Menschen damit zurecht? Sie wollen es ändern, sie wollen friedlich leben und überleben, ohne wirklich zu wissen wie dieser Frieden zurückgeholt werden kann. Die Selbstheilungskräfte scheinen erschöpft, endgültig in den Ruin getrieben. Was hilft es zu hoffen, wenn sich am Ende doch nichts ändert.
Es ist spät, aber noch vor Mitternacht. Auf dem Platz ist es schon ruhig. Der Sportpark beginnt aufzuatmen. Die Trommelsignale der Marschproben sind verklungen, die Formationen aufgelöst für heute. Sie üben unermüdlich. Jeden Tag. Wenn schon die Regierung nicht für Ordnung sorgt, tun es wenigstens Kinder und Jugendliche. Als ‚Bandas de Guerra‘. Sie trainieren Marschformationen zum Zeitvertreib, fasziniert vom Sinn des Gleichschritts, von Zusammengehörigkeit und Präzision. Das Chaos wird kleiner.
Von den Squashanlagen schallen Ballwechsel und das Klappern der Blechabdeckungen noch herüber. Auch Schritte und Gespräche nächtlicher Spaziergänger. Natürlich fällt unser Fahrzeug auf. Manchmal mustern uns vorsichtige Blicke, hin und wieder erkundigt sich jemand nach dem fremden Nummernschild oder nach einem Gegenstand unserer Ausstattung. Harmlose Anknüpfung. Bruchstückhafte Wortwechsel in einfachem Spanisch. Wir tun uns noch schwer. Aber wir lassen uns darauf ein.
„Arbeitet es gut?“
Der Vorhang unserer Schiebetür ist halb offen. Draussen ist im Licht, das von der Stadionbeleuchtung stammt, ein Gesicht zu erkennen und eine Hand, die auf unser Solarmodul hinter der Windschutzscheibe deutet.
„Ja, es liefert genug für unterwegs.“
Ein Mann, Anfang der Vierziger, tadellos rasiert, grundanständiges Lächeln, mit Frau und Kindern offenbar beim Abendspaziergang, entschuldigt sich für die späte Störung. Normalerweise sei er eher zurückhaltend, aber Solarmodule seien eben sein Geschäft.
„Ich meine, wenn es so hinter der Scheibe liegt“, will er wissen.
„Ja, dann auch. Wir brauchen nicht so viel“, sagen wir und meinen eigentlich Strom.
„Ich beneide Leute, die sich einfach auf den Weg machen“, sagt er und formuliert seine Zustimmung während wir höflich zuhören: „Ganz wie Ihr. Ohne unnötigen Ballast.“ Er schwärmt von den Möglichkeiten des Lebens und des Reisens, von der Vielfalt der Kulturen und Menschen, und wie wenig man doch zum Leben braucht.
„Wir müssen die Menschen selbst kennenlernen.“
„Selbst. Auf jeden Fall.“
„Aus der Nähe.“
„Unbedingt.“
„Und ihren Alltag.“
„Genau.“