Texte Guatemala | Alta Verapaz, Guatemala, Februar 2023
Die Weitgereisten hatten ihre Komfortzone verlassen, um die Wirklichkeit und sich selbst zu erkunden. Ende 2022 kamen sie in das sehr ferne Land des ewigen Frühlings. Dort, im tiefen Urwald und zwischen prächtigen Vulkankegeln hört man unweigerlich von Armut und Gewalt sprechen, wie augenfällig Politiker und Politikerinnen ihre Macht missbrauchen, während doch eine sehr schwere Zeit herrsche, wie benachteiligt und wehrlos dabei so viele andere seien, über niedrige Kakaopreise und die allseits bekannte Ausbeutung des globalen Südens, eben über alles, was im Land des ewigen Frühlings so passiert und warum. Die Reisenden hören zu, lange und geduldig wie sie es meistens tun, schliesslich besitzt jede Seite ihre eigene Geschichte.
Einmal begegnen sie einem wohlhabenden, aber anständigen Farmer, der mit dem Politischen vertraut ist.
„Das ist alles nicht so einfach,“ sagt Jorge, der Farmer, und er schildert den Reisenden die politischen Wechselfälle einer bald zweihundertjährigen Geschichte, die der guatemaltekischen Republik nur wenige fortschrittliche Präsidenten aber viele Diktatoren beschert hat, dabei nicht wenige, deren Amtszeit und Leben gewaltsam beendet wurden, kaum einen, dessen fragwürdige Machenschaften nicht früher oder später enthüllt wurden, und Parteien, die ständig stritten statt gute Werke zum gemeinsamen Nutzen aller zu tun.
„Aber deshalb sage ich, dass wir in Guatemala eine Grube voller Krebse sind“, sagt Jorge während er seine Kaffetasse mit beiden Händen fest umschlossen hält. In seiner Stimme liegt schmucklose, trockene Gewissheit.
„Aha?“, wundern sich die Reisenden.
„Ich will damit sagen, Krebse sind Tiere, die im Wasser leben. Also tut man sie in eine Grube. Wenn einer aufsteigen will ziehen andere ihn zurück. Deshalb kommt niemand voran, weil alle gleichzeitig vorankommen wollen.“
Die Weitgereisten nicken. Sie sind immer für das Vergnügen empfänglich, dass ein verblüffender Vergleich mit der Tierwelt verschafft. Dennoch irgendetwas stimmt nicht ganz.
„Es ist ihre Kultur“, versichert Jorge.
„Wessen … ?“
„Im Kern sind sie etwas neidisch“, weiss Jorge. „Das heisst sie neiden den anderen und wollen nicht, dass der andere weiterkommt. Das ist das Problem, dass sie keine Einheit bilden. Und dass sie schon immer gestritten haben. Nicht erst jetzt. Schon immer!“
„Aber müsste man nicht einfach mal … ?“
Die Maya seien kein sonderlich friedfertiges Volk gewesen, fährt Jorge fort. Seine Lektion lässt Unterbrechungen nicht zu.
Einerlei, denken die Reisenden, haben sie es sich ohnehin zur Gewohnheit gemacht, Erklärungen nicht eilig zu widersprechen, selbst wenn sie ihnen allzu einfach erscheinen.
“Und überhaupt, was soll das heissen: Ursprüngliche Eigentümer? Die frühe erste Besiedelung Amerikas erfolgte doch lange vor der Zeit, auf die sich fragwürdige Ansprüche selbsterklärter Mayaerben berufen.”
Er erzählt von arbeitsamen Farmern, die es, klug und tatkräftig wie er, zu Wohlstand brachten, und empört sich über diejenigen, die nichts Besseres zu tun haben, als ständig zu klagen, die letzten Endes aber nichts tun.
„Deshalb, jeder hat Möglichkeiten, es zu schaffen. Aber sie sagen ‚Ich nicht‘. Das ist Lüge.“
Die Weitgereisten können, so wenig sie bis jetzt von Guatemala wissen, nicht widersprechen, aber das Unbehagen wächst doch in ihnen, je länger sie ihm zuhören.
„Das ist alles nicht so einfach,“ hören sie ihn wiederholen, und sie erkennen, dem tüchtigen Farmer braucht man mit Einwänden sowieso nicht kommen sobald er als Ursache der Misere Untüchtigkeit ausmacht.