Teufelswerk

Texte Pakistan | November 2010

Pakistan ist eine islamische Republik … und das ‚Land der Reinen’.
Die Gläubigen werden gemahnt:
„Rauschtrank ist Greuel und Teufelswerk. Meidet ihn!“
Seit Tagen wird jeder unserer Schritte von Polizei und Militär begleitet. Das bedeutet: Bescheid geben beim Drang zur Toilette – Eskorte – Wache vor der Türe – Plätschern hinter der Türe – Souveräner Umgang mit der akustischen Beobachtung – Entspannt lächelnd wieder heraustreten.
Auch wenn wir mit der umfassenden Fürsorge unserer uniformierten Beschützer inzwischen umzugehen gelernt haben, der überwältigenden „Gastfreundschaft“ sucht man sich irgendwann zu entziehen.
„Na gut“, sagen wir uns also „wenn schon unter ständiger Kontrolle, dann wenigstens mit Spass“.
Wer würde das nicht verstehen nach wochenlanger, gesetzlich verordneter Abstinenz?
„Aber trotzdem“, mag man sich verwundert fragen „warum ausgerechnet auf einem Hof der Polizei? Da ist es doch nicht auszuschliessen, dass selbst der toleranteste Fundamentalist das Böse eifrig zu vertreiben sucht“.
Schwer zu sagen, was da eigentlich passiert ist. Genau genommen sind wir bis zum Schluss im Unklaren geblieben … hinterher ist man eben auch nicht immer schlauer. Wir können deshalb nichts anderes tun, als die Erlebnisse ebenso wiedersprüchlich und ungeklärt aufzuschreiben, wie wir sie an diesem seltsamen Abend gegen Ende November erlebt haben:
Nachdem wir unseren Platz für die Nacht im Hof der örtlichen Levies-Station zugewiesen bekommen haben und die Neugier der Herumstehenden abflaut, nutzen zwei Unbekannte die Gelegenheit uns anzuvertrauen, sie könnten Whiskey besorgen. Und sie beschliessen auch gleich, sich auf einen geselligen Abend zu uns in den Syncro einzuladen. Nicht nur weil die Nächte im Hochland, jetzt, im Spätherbst, schon grimmig kalt werden raten unsere beiden Besucher, Sajid und Gul, dass Zusammensein besser hinter zugezogenen Vorhängen im Fahrzeug zu verbringen. Wir hocken also gut gelaunt in der „Blechhöhle“ – eng für Vier – gedrängt zu sechst. „Teufelswerk“ auf dem Tisch und in der Kehle. Draussen plötzlich Aufregung. Im Dunklen sind Stimmen zu hören. Mag sein, dass einen das verunsicherte Gewissen eine Respektlosigkeit gegenüber der fremden Kultur empfinden lässt, woran in diesem Augenblick aber kein Mensch Anstoss nimmt. Unsere beiden neuen Freunde zumindest sind der festen Überzeugung, wir – Ungläubige zumal – geniessen Narrenfreiheit bezüglich mancher islamischer Verhaltensvorschriften. Jedenfalls wird unsere sorglose Runde unvermutet aufgeschreckt. Halbleere, den Kerzenschein fröhlich spiegelnde Whiskeygläser vor uns, umnebelt vom sehr aromatischen, süsslichen Rauch der kleinen, braunen Zigaretten. Reden und Lachen verstummen beim Gewahrwerden sich abzeichnenden Ärgers. Wir horchen, Rufe dringen durch den schmalen Spalt der, nicht ganz geschlossenen, Schiebetür. Aufforderungen sind zu vernehmen. Sajid und Gul werden von den Stimmen im Dunklen unwirsch aus der schützenden Hülle des Syncro befohlen. Der Gesichtsverlust scheint unabwendbar. Sie bemühen sich Haltung zu wahren, demonstrieren Zuversicht und erklären beim Hinausstolpern, ihren Einfluss deutlich machen zu wollen, wenn ihnen einer dumm kommen sollte:
„Die Leute haben alle krumme Hände“ erklären sie.
„Krumme Hände?“
„Ja klar, mit ein paar Rupies ist hier alles zu machen“.
„Aber…“, wollen wir zweifelnd einwenden.
„Nein wirklich, macht Euch keine Gedanken. Wir wissen wie das hier läuft“ wiegeln sie selbstbewusst ab. Nach Klärung der hiesigen Machtverhältnisse wollen die Beiden gleich zurückkehren. Sie versichern, einem ungestörten Beisammensitzen werde danach garantiert nichts mehr im Wege stehen.
Für kurze Zeit nimmt das nächtliche Stimmengewirr zu, es wird lauter, drängender, die Auseinandersetzung resoluter, ohne dass sich uns der Sinn erschliessen würde.
Wir erinnern uns, in manchen abgelegenen Teilen dieser Region kann sich der Staat nur unzulänglich gegen einflussreiche Grundbesitzer oder Stammesführer auf der einen Seite und nicht weniger anmassende Moralwächter und Eiferer auf der anderen Seite durchsetzen. Welche Interessen da draussen miteinander streiten und welche Rollen wir in diesem rätselhaften Stück spielen ist nicht auszumachen. Auf unbestimmbare Weise beeinflussen für uns nicht erkennbare Kräfte den Gang der Dinge.
Schliesslich scheinen sich die Fronten zu klären. Im Hof der Levies wird es ruhiger. Doch unsere beiden anarchisch gestimmten Mittrinker sehen wir heute Abend nicht wieder. Hier haben offenbar andere das Sagen. Wir schwanken zwischen Erleichterung und Anspannung. Gerade noch mal Glück gehabt. Oder wäre es besser sich vom Hof zu machen?
Leise schieben wir die Türe ganz auf. Alles still draussen. Während wir die Reste des „Rauschtranks“ aus den Gläsern in den Hof kippen und die Luft im Syncro langsam wieder durchsichtig wird, nähern sich erneut Stimmen. Unheil verkündendes Gemurmel, möglicherweise aufgehetzt, entschlossen die Verletzung islamischer Bestimmungen drastisch zu ahnden. Immerhin droht die konservative Koranauslegung:
„Wenn sie Wein trinken, peitscht sie.
Wenn sie noch mal trinken, peitsch sie.
Wenn sie noch mal trinken, tötet sie!“
Das ist der Augenblick, in dem man sich wünscht, einfach nur in Ruhe gelassen zu werden und ärgerlich fragt, weshalb Besserwisser immer so unnachgiebig auftreten müssen.
Viel Zeit bleibt uns allerdings nicht, über die Frage nachzudenken.