Busidan

Texte Iran 1 | Ovan-See, Juli 2010

„Der Schleier ist wie eine Muschel für die Perle.“
Wir sind im Iran.
Bescheuert, Idiotisch, Frechheit sind Vokabeln, die uns in unseren Gesprächen derzeit häufiger über die Lippen kommen.
Sittenwächter? – Lächerlich!
Im Fragen und Feststellen zunehmend entschlossener erleben wir den verbalen “Zusammenprall der Kulturen”. Oft werden wir von Einheimischen angesprochen. Wenn jemand englisch oder gar deutsch spricht besteht gelegentlich die Möglichkeit, eine Frage zu vertiefen und ganz unterschiedliche Haltungen ansatzweise zu ergründen:
„Wir fühlen uns nicht eingeschränkt“ erklärt eine junge Iranerin auf die Frage nach dem Verhüllungszwang. Selbstbewusst beantwortet und stellt sie Fragen, auch für die zahlreichen Familienmitglieder, die sich um uns geschart haben. Sie ist Studentin, spricht englisch und sie vertritt ihre Meinung unbeirrt:
„So ist unser Land.“
„Werden Schleier oder Kopftücher freiwillig getragen?“ ist unsere Frage.
„Ja, wir fühlen uns sicher damit.“
Sicher?
„Sicher vor wem? Müssen Frauen sich schützen?“
„Nein, es geschieht aus tiefer Überzeugung. Es ist ein Gefühl.“
Doch keine Frage der Sicherheit?
Wie oben schon angedeutet, unsere Suche nach den Hintergründen zeigt sich gelegentlich von ihrer hartnäckigen Seite:
„Würden Frauen Kopftücher auch tragen, wenn es nicht vorgeschrieben wäre?“
Im Hinblick auf unsere eigene Weltanschauung haben wir erwartet – Ja, wir werden gezwungen – oder – Nein, ein Teil der Frauen würde sich sicher nicht weiter verhüllen. Stattdessen bekommen wir zu hören:
„So ist unsere Religion. Wir glauben an sie.“
Mit geübter, persischer Höflichkeit betont die junge Frau die Verschiedenheit der Kulturen, legt gleichzeitig Wert darauf, dass Gemeinsamkeiten vorhanden seien:
„Unser Glaube ist gleich, Unterschiede gibt es nur in Details“ und ergänzt zur Kopftuchfrage:
„Kann sein, dass es für manche Menschen nicht in Ordnung ist.“
Wie diplomatisch. So klingen offizielle Stellungnahmen gewöhnlich. Sagt sie das aus Rücksicht auf ihre Familie? Eher nicht. Wir meinen zu spüren, dass sie spricht wie sie empfindet.

Wir dagegen, wir tun uns schwerer, glauben wir doch an die individuelle Selbstbestimmung. Sollen wir die aufgeben wegen einem Kopftuch? Einem Zalam-zimbo (Schnickschnack) der in einem Land verboten im anderen vorgeschrieben ist.
Tatsächlich erhält man aus anderen Gesprächen den Eindruck, dass viele Frauen, kaum dass sie aus dem Blick des öffentlichen Bereichs sind, nichts Eiligeres zu tun haben, als sich vom Tuch zu befreien.
Tschador- und Schleierzwang hat man vor einiger Zeit aufgegeben. Auf Druck der Öffentlichkeit oder auf aufgrund des zunehmenden Widerstands von Frauen?
Abbas, den wir später in Isfahan treffen, erklärt mit gedämpfter Stimme:
„Die Art, wie Kopftücher getragen werden, ist ein Zeichen der Ablehnung.“
Wer es ernst nimmt oder Schwierigkeiten mit den Sittenwächtern vermeiden will, verbirgt die Haare ganz. So wie es vorgeschrieben ist. Unzufriedenheit dagegen zeigt Haare. Eine Strähne vielleicht, um vorsichtig kund zu tun: „Eigentlich bin ich nicht einverstanden!“ Mehr Haare, um auszuloten, wie weit man in der Öffentlichkeit gehen kann – und, um die Grenzen langsam zu verschieben: „Und überhaupt, wenn ich dürfte, würde ich sowieso tun was ich will!“ Mit dem Grad der Unzufriedenheit rutscht das Tuch weiter zurück. Die neueste Spielform ist ein Schal, der locker um Kopf und Hals gelegt wird. Damit ist die Grenze des gerade noch Gestatteten erreicht.
Überhaupt sind eine Menge Dinge geregelt. Busidan (Küssen) ist in der Öffentlichkeit nicht erlaubt. Alkol und Diskotek gibt es nicht und bunter Lak-e nachon (Nagellack) ist neuerdings ebenfalls unerwünscht.
So schnell sind wir nicht einig mit dem behördlich verordneten Anstand. Nein, nicht weil wir ein paar Wochen nicht darauf verzichten oder uns nicht anpassen könnten. Vielmehr beschäftigen uns die Motive und Folgen der weitreichenden Eingriffe in alltägliche Entscheidungen.
Andererseits staunen wir. Staunen über den unerwartet großen Unterschied zwischen unserem vermeintlichen Informiertsein und dem tatsächlich Erlebten.
Die beunruhigende Aufforderung, keine Kontakte mit Ausländern über das „normale Maß“ hinaus zu pflegen, entspricht ebenso wenig unserer Erfahrung wie die von oben erwünschte Ablehnung aller „westlichen Einflüsse“. Umso mehr fällt die Offenheit auf, mit der wir bei allen Gelegenheiten angesprochen werden. Wie weit die Aufgeschlossenheit im Einzelnen wirklich reicht, ist nicht so leicht erkennbar. Zu kurz ist unser Aufenthalt, mehr als Spurensuche ist da nicht möglich.
Bei aller Arglosigkeit der Perser, Skepsis gegenüber Medieninformationen begegnet uns nicht nur einmal.
Bezweckt doch Berichterstattung und Kommentierung nicht selten, anstelle der fundierten Information und dem Verständnis, den Aufbau und die Vertiefung von Feindbildern. Die „Mächte der Dunkelheit“ sind da nicht besser als die „Achse des Bösen“ wenn es um die Rechtfertigung politischer Aggression geht.
Das Missverstehen liegt also nahe.

In der Kürze der Zeit können wir kaum mehr als die für uns wichtigsten Brocken Farsi (Persisch) lernen.
Zur sprachlichen Hürde kommt das, in manchen Situationen, für uns fremde Verhalten. Da wird mit einem „Nein, haben wir nicht“ der Kopf leicht schräg zurückgeworfen, das Kinn angehoben, die Hand über Brusthöhe genommen und mit raschem Auf- und Abwärtswedeln der Finger die Absage verstärkt.
Dieselbe Gestik und Mimik, vom Einen als selbstverständlich und gewohnt empfunden, kann dem Anderen abweisend und arrogant erscheinen. Interpretieren wir nicht eben diesen Blick von oben herab, den etwas hervorgeschobenen Brustkorb und die wedelnde Handbewegung als „Hau ab, verzieh Dich, du hast hier nichts zu suchen“?
Wir fühlen uns provoziert durch das „Nein“ und eine ganz gewöhnliche, vermutlich keineswegs unfreundlich gemeinte Geste.
Missverständnis!?
Wir sehen nach und finden in unserem kleinen, gelben Wörterbuch Deutsch – Persisch gleich drei Übersetzungen für das deutsche Wort „Missverständnis“.
Die alltägliche Frage nach dem richtigen Weg „Tsche tour mitawanam be Esfahan berawam?“ (Wie komme ich nach Isfahan?) endet im hoffnungslosen Herumsuchen, nach der Frage „Chizi bedun-e gusht darid“ (Haben Sie etwas ohne Fleisch?) erhalten wir einen gegrillten Lammspiess und die Suche nach einer Busverbindung führt manchmal entnervt zu einem Taxi.

Unser Reise-Handbuch für einzigartige Erlebnisse gibt sich trotzdem zuversichtlich:
„Einige Worte Farsi, wenn auch nicht ganz korrekt ausgesprochen, werden Ihnen die Herzen der Menschen öffnen.“

Und zwar über das „normale Maß“ hinaus, wie wir jeden Tag von neuem bestätigt bekommen!


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