Manoj [Teil 4 - Deutsch]

Texte Indien 1 | Varkala, Kerala, Mitte Februar 2011

Manoj:
Ich kam zum Bahnhof und ich fragte nach einer Fahrkarte nach Kerala. OK, sie gaben mir die Fahrkarte. Und das Ticket war … ja … von Delhi nach Varkala. Und der Zug hielt zu dieser Zeit zum ersten Mal in Varkala. Es war der Kerala-Express.
Als ich nach Kerala kam, hielt der Kerala-Express zum ersten Mal in Varkala. Normalerweise halten sie hier nicht. Sie halten in Kollam und in Trivandrum. Aber ich bekam eine Fahrkarte nach Varkala.
Als ich in den Zug kam … OK … war alles gut. Es dauert drei Nächte und zwei Tage glaube ich, ja, die Reise dauert drei Nächte und zwei Tage. Neben mir war ein Typ, es war ein netter Typ, und ich scherzte. Und es ist das Schlimmste an das ich mich immer erinnern werde. Es beschäftigt mich immer noch.
Was passierte war: Ich hatte nicht so viel Geld bei mir, doch ich hatte einen kleinen Walkman zum Hören zu dieser Zeit, den ich von irgendeinem meiner Freunde bekommen hatte. Und dann in der letzten Nacht als ich schlafen ging, am nächsten Morgen sollten wir in Trivandrum ankommen. Dieser Zug fuhr nach Trivandrum. Als ich also schlafen ging, fragte mich der Typ ob er meinen Walkman ausleihen könnte, weil er diese Nacht nicht schlafen würde, da er früh morgens um sieben Uhr aussteigen muss. Ich sagte: ‚Kein Problem, ruf mich bevor Du gehst. Und ich werde aufwachen um sechs oder fünf Uhr, dann kann ich meinen Walkman bei dir abholen’. Er sagte ‚OK, das ist `ne gute Idee’. Und ich gab ihm meinen Walkman und ging schlafen. Dann dachte ich ‚Ah, es ist eine gute Idee, ich kann ihm auch meinen Geldbeutel geben, bei ihm ist er sicher’. Und dann gab ich ihm mein Geld.
Und als ich um sechs oder fünf Uhr aufwachte war der Kerl nicht mehr da.
Die Leute sagten mir, der Typ stieg in Kannur aus, das war um vier morgens.
Dann wusste ich nicht mehr was ich tun sollte. Die Leute in diesem Zug reisten normalerweise nach Delhi, sie sprachen zumindest gut Hindi, das war gut. Ich zeigte meine Fahrkarte, ich wollte nach Varkala.
Und sie sagten mir, ich sei im falschen Zug. ‚Dieser Zug wird nicht in Varkala halten. Dieser Zug hält nie in Varkala, wir reisen schon lange mit diesem Zug und wir wissen sehr gut, dass dieser Zug nie in Varkala hält. Du musst in Kollam oder in Trivandrum aussteigen’. Das Ticket, es war mein Fehler, natürlich war das Ticket für Varkala ausgestellt. Ich hätte es sehen müssen. Ich musste den anderen glauben in dem Moment. Es war so.
OK, ich stieg dann in Kollam aus. Aber was tun jetzt? Das nächste was in Kollam zu tun war … und ich sah wirklich verhungert aus … ich hatte die letzten drei Tage nichts gegessen, weil ich mein Geld sparen musste um diesen Ort zu finden. Deshalb hatte ich drei Tage lang nichts gegessen, aber irgendwie schaffte ich es etwas kaltes Wasser am Bahnhof zu trinken.
Dann kam ich aus dem Bahnhof heraus und irgendwie kam ich zur Bushaltestelle zum Bus nach Varkala.
Und ich hatte die Visitenkarte mit der Telefonnummer. Ich versuchte die Leute anzurufen. Aber das Telefon ging nicht, weil sie zu dieser Zeit die Telefonleitung fürs Internet benutzten. Es war ausserhalb der Saison als ich kam. Den ganzen Tag … ich versuchte bestimmt tausendmal, drei, vier Stunden lang, anzurufen. Dann war ich wirklich … ich wusste nicht was tun, weil das Telefon nicht funktionierte. Ich hatte kein Geld, Geld um zurück nach Hause zu kommen. Kein Geld um irgendwohin zu kommen. Irgendwie die gleichen Umstände wie in Delhi. Was sollte ich tun, was sollte ich nur tun, was sollte ich nur tun? Aber schau, das ist der Punkt, es passiert wenn du nichts hast.
Du darfst Dich nicht selbst aufgeben, irgendwas wird auf dich zukommen.
Wenn du dich fühlst wie ‚Es ist genug, ich kann nicht mehr, ich gebe auf’ wird irgendetwas auf dich zukommen, das ist die Wissenschaft des Lebens, ich bin sicher. Das ist meine Erfahrung. Als ich aufgab, sagte ich ‚Nein, ich weiss nicht mehr was ich tun soll’. Ich setze mich einfach hin. Mal sehen was passiert, was zu tun ist, ich werde irgend etwas sehen. Ich wusste nicht was tun, ich setzte mich einfach dorthin.
Eine Gruppe Studenten, Studentinnen, schaute nach mir. Ich ging zum Telefon und kam zurück. Ich war nervös. Und am Schluss setzte ich mich etwa so hin (stützt seinen Kopf in seine Hände). Ich weinte fast, ich weinte nicht, aber fast, und ich sah sehr krank aus. Und sie kamen zu mir. Und sie sprachen zum Glück gut Hindi. In diesem Moment konnte ich kein Wort Englisch, weil ich wie tot war. Sie kamen also zu mir. Sie sprachen in Hindi und ich war OK. Dann sagte ich ‚OK, ich bin verloren, ich weiss nicht mehr was ich tun soll’. Und dann baten sie mich ‚Zeig uns die Fahrkarte’. Und ich zeigte der Mädchengruppe die Karte und sie sagten ‚Ob es diese Leute in diesem Varkala gibt, ob der Ort existiert wissen wir nicht. Wir kennen den Ort nicht. Aber Du solltest dahin gehen’. Dann sagte ich ‚Ich habe keinen einzigen Cent mehr zum ausgeben’. Was sie dann taten, sie gaben mir etwas Geld und sie fragten mich ‚Brauchst Du etwas zu essen?’ Ich war ihnen sehr dankbar, diesen Mädchen.
Ich denke ‚jemand’ hat sie mir gesandt.
Ich fühlte es, als sie zu mir kamen. In diesem Moment war ich wirklich hungrig, weil ich nichts zu essen hatte. Ich fühlte mich nicht hungrig, aber ich wusste, nur weil ich so nervös war konnte ich den Hunger nicht fühlen. Aber ich wusste, wenn ich nichts esse, werde ich austrocknen oder umfallen. Ich werde irgendwie sterben deswegen. Ich wusste dass, weil mein Magen zu dieser Zeit wirklich am Ende war. Aber natürlich war ich so aufgeregt, dass ich den Hunger nicht fühlen konnte. Es war also ein sehr schlimmer Moment.
Du weisst es kommt vor, es ist mir manchmal passiert. Sie gaben mir auch ihr Essen. Sie fragten mich ‚Benötigst Du das Essen?’. Ich sagte ‚Ja, ich bin ein bisschen hungrig’.
Sie sagten mir es wäre besser. Du solltest essen, weil die Reise noch eine dreiviertel Stunde bis Stunde dauern wird. Dann gaben sie mir ihr Essen und warteten bis sie mich in den Bus setzen konnten, weil ich kein Malayalam lesen konnte.
Sie setzten mich in den Bus. Der Bus fuhr direkt in die Stadtmitte von Varkala. Irgendwie lief ich aus der Stadt, jemand sagte mir ich solle geradeaus zum Strand gehen, OK, ich lief aus der Stadt zum Strand. Als ich hier ankam war es … als ich in Kollam ankam war es morgens zehn Uhr … und als ich in Varkala am Strand ankam war es acht oder neun Uhr abends. Den ganzen Tag habe ich mich abgekämpft. Es regnete als ich hinunter lief. Und es war dunkle Nacht und ich kam irgendwie direkt vom Bahnhof. Ich fragte eine Frau, eine kleine Frau. Es gab da einen kleinen Laden aus Holz und sie nahm mich dorthin mit.
Dann als ich die Leute wieder traf, die Leute die ich in Delhi getroffen hatte, da kam neues Leben in mich. Ich fühlte mich wie ‚Oh mein Gott’.
Dann liess ich mich fallen. Dann war es gut.

Nicole:
Und sie erkannten Dich auch wieder?
Manoj:
Ja, sicher. Sie waren richtig froh, mich wieder zu sehen. Insbesondere die Frau von meinem Chef. Sie war sehr froh, mich wieder zu sehen, weil sie als Ärztin sagte, sie wusste wenn ich weiter dort geblieben wäre, wäre ich gestorben. Meine Nägel sind neu nachgewachsen und ich konnte meinen Bauch zu der Zeit so mit den Händen umfassen (umfasst seine Taille mit seinen Händen).
Ich erinnere mich ich konnte den Bauch wirklich so umfassen. Ich umfasste wirklich meinen Bauch. Ich konnte … die Leute konnten sogar meine Rippen zählen. Seltsam. Ich habe keine alten Fotos … aber, ja, dann war ich hier und es war alles gut jetzt.
Nicole:
Und dann bekamst du eine Arbeit hier?
Manoj:
Ja, ja das ist richtig. Tatsächlich bekam ich einen Job. Ich fing an als Zimmerjunge, sauber machen, die Zimmer reinigen und auf die Zimmer acht geben, wie Haushalt.
Dann nach ein paar Jahren versetzten sie mich in die Küche. Dann arbeitete ich in der Küche. Wegen der Ärztin, sie arbeitete hier. Sie war eine gute Ärztin und sie wusste viel über das Essen und so und sie lehrte mich die Ernährungsgrundsätze …
Dann arbeitete ich als Koch. Ich weiss nicht mehr genau, ein oder zwei Jahre. Danach liessen sie mich in der Massage arbeiten, um den Therapeuten zu helfen und ich lernte das auch ganz gut.
Danach arbeitete ich in der Rezeption als Rezeptionist für ein paar Jahre.
Für zwei Jahre, danach landete ich beim Yoga. Ich wollte Yoga lernen. Und jetzt unterrichte ich Yoga (lacht).
Und ich war … das ist … was immer ich tat, ich mochte alles. Ich gab mein Bestes. Ja ich gab mein Bestes so gut ich konnte.
Und dann, ja alles war perfekt für mich.
Aber Yoga ist das wichtigste, was ich in meinem Leben brauchte, denke ich. Jetzt fühle ich mich als ob ich für das geboren wäre. Weil es sich anfühlt, als ob ich es von vielen Leben her kenne oder irgendwie so. Weil es sich so vertraut anfühlt. Wenn ich Yoga unterrichte, ist das der Moment. Wenn ich Yoga unterrichte bin ich wirklich in der Gegenwart. Ich öffne alle meine Sinne und meinen Geist, mein Herz, meine Seele. Alles ist offen als ob ich alles gebe. Ich fühle so viel, ich bin wirklich hundert Prozent in der Gegenwart. Ich denke an gar nichts in diesem Moment, was um mich herum passiert in meiner Welt. Ich bin nur da, um mich auf die Leute zu konzentrieren und Yoga zu lehren. Das ist der Grund, denke ich, deshalb fühle ich, dass ich dazu geboren bin.
Und vielleicht brachte mich irgendwie die ganze Erfahrung dahin. Es war eine gute Sache alle diese Dinge während meines Lebens zu erfahren und hierher zu kommen, um ein Yogalehrer zu sein. Und ich denke es ist auch eine gute Sache, dass ich die ganze Erfahrung mit mir trage als eine Erfahrung oder als eine Lehrzeit.
Und es tat weh. Ich weiss nicht, vielleicht sagt jemand wenn ich meine Geschichte erzähle ‚Oh mein Gott, wie hast Du das alles geschafft?’ und solche Sachen. Aber für mich war es ganz normal, und ist es immer noch, ich denke es ist sehr normal für mich. Ja, ich war wirklich nicht unglücklich oder habe geweint über irgendwas. Alles war in Ordnung für mich. OK, ich lebte im Slum oder lebte mit diesen Leuten oder hatte all diesen Ärger. Das war alles Teil meines Lebens und ein Teil meines Lebensweges. Ich musste irgendwie, wenn Du so willst, ich musste durch alles durch. Wenn ich nicht durch alles hindurch gekommen wäre, wäre ich wohl nicht hier. Dann wäre ich vielleicht irgendwo anders, ich weiss nicht. Und ich bin froh darüber, dass ich diese Zeit und all diese Dinge nicht wie eine schlechte oder unglückliche Zeit empfinde. Ich nahm alles, jeden einzelnen Schritt in meinem Leben, nahm ich als Lernen.
Wir können lernen bis wir sterben.
So nehme ich alles was mir bis jetzt begegnete als Teil meiner Lehrzeit. Das ist der Grund warum ich denke, dass es sich gut anfühlt. Weil ich nicht wirklich weiss was glücklich sein bedeutet, wenn du mich fragst, ich weiss es nicht. Das weiss ich wirklich nicht. Darunter leide ich, dass ich es nicht kenne. OK, Yoga unterrichten hilft mir, mich richtig zu verstehen. Dass ich mich wirklich mehr auf mich konzentriere. Das könnte Glück bedeuten, aber ich weiss nicht was wirklich glücklich sein ist. Weil ich denke, warum ich all diese Erfahrungen mit mir trage, die ich euch erzählt habe, das ist für euch, die ihr zuhört wie ‚Oh mein Gott, er ist wirklich unglücklich dieser Junge, wirklich. Wie hat er das geschafft?’. Für mich war es nicht unglücklich, absolut nicht. Es war perfekt so. Es konnte sein wie es wollte, ich fühlte mich gut zu der Zeit. Selbst in meinen schlechtesten Zeiten war ich froh. Wenn ich jetzt froh bin, bin ich ebenso froh, weißt du. Ich weiss also nicht was glücklich sein bedeuten soll. Weil alles gut ist. Also ich denke, was auch immer kommt, du musst es nehmen wie es ist.
Glücklich ist glücklich und traurig ist traurig. Ich glaube das ist das Leben. Das ist es, was ich sage, wir können nicht sagen, ich kann nicht sagen, was glücklich sein wirklich bedeutet, weil es nichts dergleichen gibt. Es existiert nicht. Nichts dergleichen, glaube mir, es gibt kein glücklich sein oder kein traurig sein, alles was zu dir kommt ist für dich.
Also vergleiche niemals etwas. OK, ich brauche Neues, ich brauche Glück, und wenn ich glücklich bin, dann möchte ich noch mehr Glück. Das bedeutet, dass du tatsächlich beginnst, eine Art Egoist zu sein, und vielleicht wirst du dann unglücklich und musst leiden, dann wirst du vielleicht wieder irgendwo Glück haben. Ich denke es ist besser alles so zu nehmen wie es ist. Es ist alles für uns, also warum nicht? Lass es uns nehmen wie es ist. Und deshalb sage ich, in diesen Momenten, in denen ich litt, im Bahnhof, oder im Zug, oder in der Polizeistation, oder wenn mein Chef mich die ganze Zeit schlug, oder über meine Mutter und meinen Vater schimpfte, was auch immer. Alles war in Ordnung. Ich meine ich war wirklich so, weil ich wirklich nicht wusste was unglücklich sein bedeutet.
Was konnte mich unglücklich machen?
Alles war gut für mich. So ist es. Ich denke die Leute sollten nicht nach Glück, Glück, Glück streben. Es wird zu dir kommen. Und was immer auch kommt, du musst es nehmen wie es ist. Dann wirst du dir – ich bin sicher, wenn du nicht nach Glück strebst, und du es einfach lässt wie es ist, und die Gegenwart sein lässt, und es einfach lässt wie es ist, was immer auch kommen mag – wirst du dir näher sein. Weil ich mir nichts auf mich einbilde, sage ich es so. Aber ich muss sagen, wenn ich Yoga unterrichte oder mit meinen Freunden rede, denke ich über mich nach und verstehe mich besser. Ich verstehe mich wirklich besser und besser, wenn ich diese Dinge tue. So, ja, so ist es immer am besten, zu nehmen was immer auch kommt. Es ist … es ist wirklich so, das Leben muss weitergehen, keine Frage, dass wir so nicht leben wollen, wie auch immer.
Wir müssen es nehmen wie es ist. Was immer auch kommt, lerne daraus.